Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
sie verheiratet, starb der alte Graf am Schlagfluss. Unversehens war Angelica – und natürlich auch Querini als ihr Ehemann – steinreich. Querini aber hielt Wort, er brachte sie nach Venedig.«
»War Angelica nicht entsetzt, als sie herausfand, dass ihre Schwester gar nicht tot war und sie selbst somit in Bigamie lebte?«
»Natürlich war sie entsetzt. Doch was sollte sie sagen? Etwa Anna an Querini verraten und damit das Lebensglück ihrer einzigen Schwester vernichten?« Crestina schüttelte den Kopf. »Sie konnten beide nichts tun, weder Anna noch Angelica. Außer den Mund zu halten, ihre Geheimnisse zu bewahren und das Beste aus dem zu machen, was sie hatten.« Crestina hielt inne, um Atem zu schöpfen und gegen das Herabsinken ihrer Lider zu kämpfen. Ihre Stimme war so brüchig, dass sie selbst kaum noch verstand, was sie sagte. »In Anbetracht der furchtbaren Geschehnisse, die all dem vorangegangen waren, verlief Angelicas Ehe mit Querini ... erträglich. Sie fand es nicht einmal störend, dass Querini ihr einen Haushalt mitsamt einem illegitimen Sohn präsentierte. Im Gegenteil, sie mochte diesen Jungen.«
»Zuane ... Dann ist er mein Halbbruder. Und der von Laura.«
»Ja ... Das ist er wohl.« Crestina holte abermals Luft, doch sie merkte, dass es ihr von Mal zu Mal schwerer fiel, durchzuatmen. »Angelica ... Sie konnte keine Kinder bekommen und hat ihn behandelt wie einen eigenen Sohn. Sie ... war so voller Liebe, so gütig. Meine Angelica ...«
»Sie kam oft zu uns«, sagte Mansuetta. Es klang gedankenverloren. Das Boot, in dem sie saß, schwankte sacht auf den Wellen, als wolle es sie wiegen und mit seinem sanften Auf und Ab trösten.
»Ja ... Sie besuchte uns häufig.« Crestina brachte es nur noch unter Mühen heraus. »Bis sie eines Tages ... an der Lepra erkrankte und das Haus ... nicht mehr verlassen konnte. Sie ... nahm Abschied von uns und kam nicht wieder. Als sie sich ... im Endstadium der Krankheit Querinis Befehl beugte, nach San Lazzaro zu gehen, ging ich mit ihr.« Die letzten Worte flüsterte sie nur noch. »Mit ... meinem armen kranken Mädchen.«
Der Schlaf griff nun mit Macht nach ihr, und diesmal gelang es ihr trotz aller Mühe nicht, ihn zu vertreiben.
»Ich muss ... ausruhen, mein Kind.«
»Solltest du nicht ins Haus gehen? Mutter? Sollen wir jemanden rufen, der dich holt? Gleich da drüben in den Gärten sehe ich Leute, ich sage ihnen Bescheid!«
»Nicht ... nötig. Einfach hier ... sitzen und schlafen lassen.«
»Mutter, wir kommen wieder! Morgen um dieselbe Zeit. Kannst du dann wieder hier auf uns warten? Wir werden dich hier nicht allein verkümmern lassen, keine Sorge! Sooft es geht, werden wir dich besuchen! Möchtest du etwas haben? Was sollen wir dir mitbringen?«
Mansuettas Stimme nahm einen verzweifelten Tonfall an. »Mutter, ich liebe dich so!«
»Dich ... auch ...« Crestina wusste nicht, ob Mansuetta ihre Worte noch gehört hatte. Doch zweifellos würde sie sehen können, was gemeint war, denn als Crestina einschlief, spürte sie deutlich, dass auf ihren Lippen ein Lächeln lag.
Laura stand im Portego vor dem Spiegel, einem Prachtstück in vergoldetem Rahmen, das Antonio erst vor kurzem von Murano mitgebracht hatte. Sie schaute ihr Spiegelbild an, ohne es wirklich zu sehen. Die runde Stirn, über der sich die Haare so rot lockten, die keck geschwungene Nase, die unzähligen Sommersprossen und der herzförmige Mund – all das löste sich in Einzelheiten auf, um sich gleich darauf wieder zusammenzusetzen – zu einem Sammelsurium von Erinnerungen. Sie hörte die Worte, mit denen andere sie beschrieben hatten, angefangen bei ihren Eltern.
Sie hat deine Haare, ganz ohne Frage, und auch die Nase und die Sommersprossen.
Hatte nicht ihr Vater das einst zu ihrer Mutter gesagt?
Das Kinn hat sie von meinem Vater, glaube ich. Zum Glück sonst nichts. Die Antwort ihrer Mutter. Hatte Anna noch mehr über den alten Grafen erzählt, Lauras Großvater?
Laura grübelte und versuchte sich zu erinnern, doch es fiel ihr nicht ein.
Ganz gewiss jedoch hatten ihre Eltern niemals behauptet, dass sie Guido ähnele, das wusste Laura genau. Sie hätte es ohnedies nicht geglaubt. Sein kluges Gesicht, das immerzu leicht von Gram gezeichnet schien, die bedächtigen und gewissenhaften Bewegungen beim Malen, das Leuchten in den Augen, wenn sein Wirken sich im Rausch der Farben entzündete und entfaltete – all das war von einer ganz eigenen Art
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