Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Anschließend kauerte er sich in die Ecke eines stinkenden kleinen Hinterhofs und hielt sich die Ohren zu, bis er nichts mehr hören konnte außer dem schmerzhaften Hämmern seines eigenen Herzens.
Mai 1503
Antonio schwitzte in der sengenden Nachmittagssonne, während er den Sack durch die enge Gasse zur Apotheke schleppte. Anfangs war ihm die Last nicht schwer vorgekommen, obwohl sie sicher beinahe halb so viel wog wie er selbst und auch von Umfang und Größe her kaum kleiner war als seine eigene Gestalt. Nachdem er den Sack jedoch mittlerweile von der Anlegestelle der Fähre bis hierher getragen hatte, wurden ihm allmählich die Schultern taub, von den Auswirkungen auf seine Nase und seine Augen ganz zu schweigen.
Das reichhaltige Kräutersammelsurium, das sich im Sack befand, sorgsam sortiert und verstaut in vielen kleinen Leinenbeuteln, roch betäubend und reizte ihn beständig zum Niesen. Seine Augen hatten angefangen zu tränen, sodass er dauernd blinzeln musste. Er versuchte, es zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht, und ein weiteres Mal fragte er sich, was mit ihm nicht stimmte, weil er seine Nase und seine Augen nicht kontrollieren konnte, wenn er zu viele von diesen Kräuterbüscheln in seiner Nähe hatte.
Die alte Crestina hatte bei ihrer ersten gemeinsam Pflückung auf der Terraferma gemeint, dass manche Menschen eben empfindlicher reagierten als andere, besonders, wenn die Pflanzen in voller Blüte standen. Sie sagte, dass sie sogar selbst bei einigen Pflanzen zuweilen niesen müsse, doch Antonio hatte sie noch nicht dabei beobachtet. Sie schien ebenso unempfindlich gegen die Kräuterdünste zu sein wie ihre Tochter, die rote Mansuetta, denn im Gegensatz zu ihm verzogen beide weder beim Ernten noch beim Bündeln aller möglichen Gewächse auch nur ein einziges Mal die Nase, geschweige denn, dass ihnen die Augen tränten.
Einmal war es bei ihm so schlimm gewesen, dass er zum nahen Bach gelaufen war, um sich die Augen auszuwaschen. Das hatte für eine Weile geholfen, auch gegen das Jucken in der Nase. Trotzdem hatte er überlegt, der Alten seine Dienste aufzukündigen. In den vielen Stunden, die es jedes Mal dauerte, auf einem der öffentlichen Traghetti mit ihr zum Festland zu fahren und sich anschließend wie ein Weib dem Kräutersammeln zu widmen, hätte er bequem dreimal so viel Geld stehlen können, wie sie ihm zahlte. Der Lohn war gut, daran lag es sicher nicht; er verdiente als Kräutersammler und Handlanger der alten Crestina mehr als alle Laufburschen und Hausknechte, die er kannte. Darüber hinaus gewährte sie ihm weitere Vergünstigungen, etwa schmackhafte und reichliche Mahlzeiten in ihrer Küche und hin und wieder ein frisches Säckchen Flohkraut. Außerdem mochte er die wildwüchsige Umgebung des Festlandes, das ihm schon beim ersten Betreten nicht nur unvorstellbar fremdartig, sondern auch höchst faszinierend vorgekommen war und immer noch eine magische Anziehungskraft auf ihn ausübte. Menschenleere, von Bachläufen durchzogene Niederungen, baumbestandene Anhöhen und üppig grüne Wiesen schienen sich rund um die Dörfer entlang der Festlandküste bis zu den Hängen der dahinter aufragenden Berge zu erstrecken. Die besiedelten Stellen waren im Vergleich zum dichten Häusermeer Venedigs kaum mehr als spärlich verstreute Tupfer in der Weite der unberührten Natur. Gerade die Sehnsucht nach dieser Weite zog ihn immer wieder zu Crestina, die ihn jedes Mal als Helfer zu ihren Ausflügen mitnahm, wenn sie ihre Kräutervorräte auffüllen musste.
Dafür musste er sich häufig Mansuettas grimmigen Spott gefallen lassen, was ihn fast so sehr verdross wie die belustigten Blicke der Passanten, wenn er mit ihr zusammen auf dem Markt oder auf der Piazza die Wundermedizin aus Crestinas Apotheke verkaufte.
Als hätte er es durch seine Gedanken heraufbeschworen, wurde hinter ihm ihre Stimme laut. »Was bist du für ein Träumer, Junge? Bleib doch stehen, wir sind da!«
Er merkte, dass er wegen seiner tränenden Augen an der Tür der Apotheke vorbeigelaufen war, und vor lauter Ärger hätte er am liebsten den Sack aufs Pflaster geworfen. Vielleicht hätte er es sogar getan, wenn er nicht bei der heftigen Kehrtwende, zu der er gerade angesetzt hatte, jemanden angerempelt und dessen lautstark bekundeten Ärger herausgefordert hätte.
Es war Crestinas Nachbar, der soeben unerwartet durch die Pforte seines Ladens auf die Gasse getreten war, ein junger Mann namens Isacco, der schon
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