Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
lässt meine Sehkraft schon seit Jahren nach, und um Mansuettas Augen war es schon immer jämmerlich bestellt. Sie sieht kaum so viel wie eine Eule bei Tag.«
Antonio, der gerade den Sack aufschnüren wollte, um die darin befindlichen Leinenbeutel herauszuholen, hielt inne. Er hatte sich schon häufig gefragt, warum Mansuetta oft mehrfach an einer Pflanze roch, bevor sie ein Büschel davon pflückte und in den Sammelkorb legte. Oder warum Crestina das Abwiegen oder Mischen der Kräuter allein vornahm, während Mansuetta scheinbar untätig danebenstand oder allenfalls die fertigen Mischungen in Säckchen oder Gläser füllte.
»Wohnt Ihr jetzt wieder in der Stadt?«, fragte Crestina.
Antonio sah durch die offene Tür, wie Mosè die Achseln zuckte. »Ich habe ein Haus gemietet, wenn Ihr das meint. Die neue Condótta erlaubt es den Juden ja neuerdings wieder. Der Rat war in diesem Punkt großzügiger denn je.«
Seine Blicke trafen die von Antonio, und ein dünnes Lächeln erschien auf Mosès Lippen. »Allerdings bin ich die meiste Zeit auf Reisen.«
»Handelsreisen?«, fragte Crestina.
»Natürlich. Eigentlich bin ich schon wieder auf dem Sprung, morgen Früh schiffe ich mich nach Candia ein.«
»Ah, das trifft sich vorzüglich. Die Kreter haben die besten Oliven und folglich das reinste und hochwertigste Öl ...«
Den Rest von Crestinas Bemerkung konnte Antonio nicht mehr hören, denn Mansuetta war von draußen in den Ladenraum gekommen und zog die Tür zu.
»Bist du festgewachsen?«, fragte sie. »Pack schon den Sack aus, du Faulpelz!«
Antonio konnte trotz der dürftigen Lichtverhältnisse sehen, dass ihre Wangen sich gerötet hatten, und er erinnerte sich, dass er das schon einmal beobachtet hatte, vor ein paar Wochen, als sie ebenfalls vor dem Haus auf Isacco getroffen waren.
»Mansuetta, wie alt bist du eigentlich?«, fragte er.
Ihre Augen blitzten ihn wütend an. »Wozu willst du das wissen?«
»Ist es ein Geheimnis?«
»Es geht dich nichts an, du naseweiser Bengel!«
Er zuckte die Achseln, verärgert über sich selbst, weil er der spontanen Anwandlung, sie danach zu fragen, überhaupt nachgegeben hatte. Sie mochte so alt sein, wie sie wollte, achtzehn, neunzehn, zwanzig – es konnte ihm völlig egal sein. Sie war durch ihr verwachsenes, schiefgesichtiges Äußeres entstellt und würde ohnehin niemals die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes auf sich ziehen, nicht einmal die eines armseligen und gering geachteten Marranen, der nie eine normale Frau für sich gewinnen konnte.
Mit mechanischen Bewegungen begann Antonio, den Sack auszupacken und die einzelnen Beutel auf der Theke zu stapeln, wo Crestina sie nachher ausleeren würde. Einen Teil der Kräuter würde sie pressen, manche einfach nur trocknen und wieder andere in bestem Öl oder teurem Essig einlegen oder mit Weingeist ansetzen. Die Möglichkeiten der Verarbeitung waren vielfältig. Offenbar ließ Gott gegen jede noch so abwegige Krankheit auf Erden und für alle Wünsche nach Schönheit, Jugendlichkeit und Potenz ein passendes Kraut wachsen, und hätte nicht in Antonios Augen das ganze Grünzeug gleichermaßen langweilig ausgesehen und gerochen, hätte er sich dafür vielleicht sogar näher interessieren können – zumindest für den geschäftlichen Aspekt.
Im Augenblick aber hätte er liebend gerne einen Teil des zu erwartenden Brathuhns hergegeben, um zu erfahren, was aus Mosès Alaungeschäften geworden war, wie der Kaufmann das päpstliche Monopol umgangen hatte und welchen Handel er auf Candia treiben wollte. Ob es dort ebenfalls Alaun gab? Inzwischen hatte Antonio herausgefunden, wozu man Alaun brauchte; die Verwendungsmöglichkeiten waren von schwindelerregender Vielfalt, und im Nachhinein verstand er die Gier des Zehnerrats Querini, für Venedig eine eigene Quelle dieses Rohstoffs zu erschließen.
Ohne weiter auf Antonio zu achten, humpelte Mansuetta an ihm vorbei und durch die Tür hinter der Theke weiter in die große Küche. Antonio schnupperte vorsichtig. Ja, eindeutig Brathuhn, das konnte er trotz seiner laufenden Nase riechen. Gegen den Duft konnten sogar die ganzen durchdringenden Kräuterdünste nichts ausrichten. Und war da nicht noch ein süßes Aroma, wie bei dem köstlichen Pudding, den Crestina vor ein paar Wochen schon einmal gekocht hatte?
Er wischte sich die Handflächen an der Hosennaht ab und richtete sich erwartungsvoll auf, als Crestina von draußen hereinkam. Sie blieb mitten im Raum stehen. Ihre Gestalt
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