Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
sinken und wandte sich mit unsicheren Bewegungen wieder dem Herd zu. So lief es meist ab, wenn sie die Kinder schlug. Eben noch bis zur Raserei gereizt, ließ sie eine heftige, aber kurze Salve von Hieben vom Stapel und verfiel anschließend wieder in ihre übliche geistesabwesende Trägheit, in der sie dann günstigstenfalls für die Dauer mehrerer Tage verharrte.
Laura zog sich eilig auf den Gang zurück und blieb dort hinter der Tür stehen, bis Veronica zu ihr gehuscht kam.
»Wo warst du nur?«, flüsterte das Mädchen, den Mund bereits voller Brot. Sie streckte Laura ebenfalls ein Stück hin, die sich nicht zierte, sondern es ihr auf der Stelle entriss und hastig davon abbiss.
»Ich wollte den Bucintoro sehen und den Dogen.« Laura kaute mit vollen Backen und spürte dabei, wie die Striemen in ihrem Gesicht anzuschwellen begannen. Es schmerzte bei jedem Bissen, doch der Hunger war stärker. Das Brot war trocken und hart wie immer, doch wen kümmerte das, sobald man es im Magen hatte.
»Wieso? Ist er heute mit seinem Prachtschiff gefahren?« Veronica, die nicht gerade die Hellste war, wusste nicht viel über die Andate des Dogen, doch immerhin war sie neugierig genug, alles Mögliche wissen zu wollen.
»An Himmelfahrt fährt er immer hinaus«, sagte Laura. Sie wartete auf weitere Fragen, doch ihre Erwiderung schien Veronica als Antwort zu reichen. Sie war ein blasses Mädchen mit hellblonden Zöpfen, viel zu klein und mager für ihr Alter, so wie fast alle Kinder, die schon früh ins Waisenhaus gekommen waren.
»Wann war Suor Arcanzola hier?«, fragte Laura flüsternd, darauf bedacht, nicht wieder die Aufmerksamkeit der Aufseherin auf sich zu lenken.
»Gleich nachdem du fort warst«, antwortete Veronica.
Laura schluckte den durchgekauten Brotklumpen herunter und spürte, wie er in ihrer Kehle ein hartes Hindernis bildete. »Was hat sie gesagt?«
»Nicht viel. Sie hat die Amme und deinen Bruder mitgenommen und gesagt, dass sie dich später holen kommt.«
»Hat sie gesagt, wohin sie die beiden bringt?«
Veronica schüttelte den Kopf, während sie sich den letzten Bissen des Brotes in den Mund schob.
In der Küche ertönte das Keifen der Aufseherin, und Veronica eilte zurück an die Arbeit. Auch Laura widmete sich notgedrungen ihren Aufgaben. Sie holte die Teller aus dem Geschirrschrank und brachte sie in den Essensraum hinüber, um dort den Tisch zu decken. Sie erledigte alle Handgriffe mit der gewohnten Zielsicherheit und war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, doch ihre Gedanken überschlugen sich. Sie zerbrach sich den Kopf darüber, was auf sie zukommen mochte. Es konnte nichts Gutes sein, so viel war gewiss. Arcanzola hatte ihr für den Fall, dass sie sich abermals ohne ausdrücklichen Auftrag weiter als bis zum Ende der Gasse vom Heim entfernte, härtere Schläge angedroht, eine Aussicht, die Laura mit Schaudern erfüllte. Schon nach den ersten Prügeln, die Arcanzola ihr verabreicht hatte, hatte sie tagelang nur unter Schmerzen sitzen können. Anders als die Aufseherin zelebrierte die Nonne gleichsam die Bestrafung; Monna Paulina schlug spontan, Arcanzola dagegen bedachtsam und ohne Hast. Dennoch war ihr Gesicht nach jeder dieser Bestrafungsaktionen gerötet wie von einer großen Anstrengung, und in ihren Augen stand stets ein seltsames Leuchten, wenn sie mit dem gezüchtigten Kind aus dem Raum trat, der normalerweise den Andachten zu den Gebetsstunden oder dem Empfang von Besuchern vorbehalten war. Laura fragte sich, ob sie mit den anderen Kindern dasselbe tat, was auch ihr bei der ersten Auspeitschung widerfahren war, und sie hatte panische Angst davor, dass es ihr erneut geschehen könnte.
Das Essen war fertig; eines der Mädchen läutete die Glocke. Die Kinder kamen aus allen Winkeln des Hauses herbeigerannt und versammelten sich im Speiseraum, und Monna Paulina verteilte mit der Schöpfkelle die Suppe in die hochgehaltenen Teller. Als Laura an der Reihe war, schüttelte die Alte den Kopf. »Du kriegst nichts.«
»Wer sagt das?«, entfuhr es Laura. Sie schluckte, weil sie merkte, wie aufsässig ihre Stimme klang, doch sie dachte nicht daran, sich zu entschuldigen.
» Ich sage es, du ungezogene Teufelsbrut! Und Suor Arcanzola auch, wenn du es schon wissen willst. Kein Essen, bis sie wiederkommt, so lautet ihr Befehl!« Monna Paulina hob drohend die Schöpfkelle. Laura bekam einen Spritzer von der heißen Suppe ab und wich zurück, bevor die hölzerne Kelle sie treffen konnte.
Monna
Weitere Kostenlose Bücher