Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
stützte sich mit den Händen auf den Lehnen ab, den Kopf mit der goldenen, wie ein nach hinten aufsteigendes Horn geformten Dogenkappe der Piazzetta zugewandt.
Sein Gesicht war asketisch und bleich, die schmalen Lippen ohne ein Lächeln. Leonardo Loredan war seit zwei Jahren Doge, Laura hatte den Jubel während der Krönungszeremonie und der anschließenden Andata zwischen Dogenpalast und Basilika gemeinsam mit ihren Eltern miterlebt.
»Ah, wie gern würde ich auf diesem herrlichen goldenen Schiff des Dogen mitfahren!«, meinte die Tochter des Kaufmanns. Sie sagte es so laut, dass es Laura, die unmittelbar vor ihr stand, förmlich in den Ohren schallte.
Laura hatte eine abfällige Bemerkung auf den Lippen, verkniff sie sich aber. Ihr Blick ging kurz zu der Säule mit dem Markuslöwen hinüber. Das Mädchen hatte sich im Grunde nichts anderes gewünscht als sie selbst vor noch nicht allzu langer Zeit – eine ungewöhnliche Reise in eine fremde Welt.
Unter dem Jubel der Menge legte der Bucintoro ab und glitt gemächlich in die Lagune hinaus, gefolgt von farbenfroh herausgeputzten Booten mit weiteren Würdenträgern. Die goldene Galeere nahm Kurs auf Sant’ Elena, wo der Patriarch von seinem eigenen Schiff an Bord des Bucintoro kommen und anschließend der Zeremonie der Sensa beiwohnen würde.
Laura blieb noch eine Weile an der Mole stehen, bevor sie sich schließlich zögernd von dem Anblick der davonfahrenden Schiffe losriss und durch die Menge zurück auf die Piazzetta drängte. Mittlerweile war es höchste Zeit, dass sie ihren Ausflug beendete. Es war das erste Mal seit jenem unseligen Karnevalstag, dass sie wieder ohne Erlaubnis weggegangen war, aber eine böse Ahnung sagte ihr, dass Arcanzola ihr auch diesmal wieder auf die Schliche kommen und sie mit Stockhieben und Essensentzug strafen würde.
Zu ihrer Erleichterung war von der Nonne weit und breit nichts zu sehen, als sie ins Waisenhaus zurückkehrte. Sie zog die hölzerne Tür möglichst leise hinter sich ins Schloss und huschte die Stiege hinauf zu ihrer Kammer, in der Hoffnung, dort Lodovica und den Kleinen anzutreffen. Ein heftiges Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Nähe hatte sie erfasst, und sie sehnte sich danach, ihren kleinen Bruder in die Arme zu schließen.
Zu ihrem Verdruss war die Kammer leer, wie ihr ein kurzer Blick in den ärmlich ausgestatteten Raum zeigte. Widerwillig ging sie wieder nach unten und durch den Hinterausgang nach draußen in den umfriedeten Hof, den Monna Paulina euphemistisch Garten nannte, ungeachtet der Tatsache, dass außer Unkraut dort nichts wuchs. Falls sich je der Schössling einer ansehnlicheren Pflanze dorthin verirrt hätte, wäre er sicher rasch eingegangen, denn die Latrinen verbreiteten im Sommer einen derart infernalischen Gestank, dass jedes Lebewesen in unmittelbarer Nähe mit akuter Atemnot zu kämpfen hatte, abgesehen von den unzähligen Schmeißfliegen, die in großen Trauben auf allen Öffnungen klebten.
Mangels Kanalanschluss stand das Häuschen über einer Sickergrube, ein höchst unersprießlicher Zustand, mit dem Laura, die vorher nur den sauberen und wenig geruchsintensiven Abort über dem Fallschacht zu einem Kanal gekannt hatte, sich immer noch nicht abfinden konnte. Ihr graute bereits davor, Matteo mit den Gegebenheiten der Latrine bekanntmachen zu müssen. Jetzt war er noch zu klein; mit neun Monaten konnte ein Kleinkind nicht sauber werden. Aber Lodovica hatte ihr bereits erklärt, dass man spätestens dann damit anfangen müsse, ihn an einen Nachttopf zu gewöhnen, wenn er seinen ersten Geburtstag hinter sich habe. Vom Nachttopf bis zur Latrine war es zwangsläufig dann nur noch ein kurzer Schritt.
Auch im Hinterhof war von der Amme und Matteo nichts zu sehen. Ein paar Kinder spielten zwischen den Mauern Fangen und kreischten dabei ausgelassen. Einer der kleineren Jungen sah Laura in der Tür stehen und kam angerannt.
»Wo warst du?«, wollte er wissen, das schmutzige Gesicht neugierig verzogen.
»Warum fragst du?«, gab sie mit klopfendem Herzen zurück.
»Suor Arcanzola hat dich gesucht.«
Laura erschrak. »Ist sie hier?«
Er schüttelte den Kopf und zog gleichzeitig beide Schultern hoch, womit er offenbar zum Ausdruck bringen wollte, dass er es nicht wusste. Eines der anderen Kinder – seine jüngere Schwester, kaum vier Jahre alt –, rief quengelnd nach ihm, und er drehte sich um und rannte zu ihr.
Von aufkeimender Furcht erfüllt, ging Laura durch den stinkenden dunklen
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