Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
wirft dort einen goldenen Ring ins Wasser.«
»Warum?«, wollte die Tochter des Kaufmanns wissen.
»Weil es so ist«, entgegnete der Kaufmann gereizt, offenbar nicht gewillt, auf weitere dumme Fragen einzugehen.
Laura biss sich auf die Lippen, bis sie Blut spürte. Mit einem Mal brachen die Erinnerungen wieder über sie herein, und der Himmelfahrtstag vor drei Jahren, an dem ihr Vater ihr das Zeremoniell mit der für ihn typischen Geduld erklärt hatte, stand ihr so deutlich vor Augen, als sei es erst gestern gewesen.
»Der Legende nach wird der Bund der Stadt mit dem Meer auf diese Weise besiegelt«, hatte Guido Monteverdi gesagt und sie dabei angelächelt. »Es gibt keinen schöneren Brauch als die Sensa. Venedig und die Lagune. Stein und Wasser, eine besondere Verbindung, und zugleich eine eigene Welt, die uns alle trägt. Unser Doge erweist den Fluten des Meeres mit dem Ring unsere Ehre und gibt ihn zugleich als Unterpfand unserer Treue und Dankbarkeit.« Er hatte auch von der früheren Bedeutung der Sensa erzählt, die allerdings in Lauras Ohren nicht halb so beeindruckend klang.
»Den Chronisten zufolge hatte vor über dreihundert Jahren der damalige Papst nach einem Friedensschluss am Himmelfahrtstag der Serenissima zahlreiche Privilegien für die Dogenprozession gestattet, etwa das Tragen von Kerze und Standarte, von Thron, Schirm und Schwert. Er verlieh Venedig auch die Befugnis, das Meer zu heiraten , also das Recht zur Vorherrschaft auf See.«
Laura verdrängte die Erinnerungen und konzentrierte sich stattdessen auf ihr Bedürfnis, alles abermals mit eigenen Augen zu sehen. Sie schob sich an dem Kaufmann vorbei nach vorn und hatte nun wieder freie Sicht. Ja, es war genau wie damals, als sie den Bucintoro zum ersten Mal gesehen hatte.
Sicher war er fünfzig Schritte lang, und der goldene Zierrat an den Aufbauten entfaltete in der Sonne eine solche Leuchtkraft, dass er das Auge des Betrachters blendete. Ein roter Baldachin überspannte das kostbar geschmückte Deck des Schiffes, von wo aus die höchsten Nobili und die wichtigsten Würdenträger der Stadt auf die Piazza und später nach der Ausfahrt auf das Meer hinausschauen konnten. Am Heck der Galeere befand sich das erhöhte Podest für den Dogen, der während der Ausfahrt für das Volk, das sich auf der Piazzetta und entlang der Mole versammelt hatte, sichtbar bleiben würde.
Im Bauch des Schiffes war Platz für mehr als hundert Ruderer, die in Kürze den mächtigen Bucintoro zum Klang der Trommeln mit gleichmäßigen Schlägen hinaus in die Lagune bringen würden.
Vom Mast flatterte die gezackte Fahne mit dem Markuslöwen, während die Musikanten in einen schnelleren Rhythmus verfielen und die Menschenmenge in Unruhe geriet.
Die Prozession des Dogen, die über den Markusplatz herüberkam, näherte sich der Anlegestelle, angeführt von den Commandatori mit den verschiedenfarbigen Seidenstandarten und den silbernen Trompeten und Schilden, gefolgt vom Zeremonienmeister des Dogen, dem Generalkapitän und dem Großtruchsess. Sie schritten in majestätischer Haltung dem Zug voraus und betraten über die Landungsbrücke den Bucintoro. Hinter ihnen gingen in der festgelegten zeremoniellen Reihenfolge der Geistliche des Dogen mit dem silbernen Kerzenhalter, die sechs Kanoniker von San Marco, zwei Gastaldi , vier Sekretäre des Senates, der Kapellan des Dogen, zwei Unterkanzler, der Großkanzler mit zwei Schildträgern, die den Thron des Dogen und das vergoldete Lederpolster trugen, und schließlich der Doge selbst, Leonardo Loredan, die magere, aber aufrechte Gestalt in einen Umhang aus Goldbrokat gehüllt.
Beim Betreten des Schiffes stolperte der direkt hinter ihm schreitende Träger des goldenen Schirms, was ihm einen Rempler des päpstlichen Nuntius eintrug, der ihm inmitten einer Schar von Schleppenträgern folgte. Der Patrizier mit dem großen Stoßdegen, dem Stocco , der in der Reihenfolge der Prozession als Nächster kam, wich den beiden mit einem eleganten Schlenker der hochgehaltenen Waffe aus und stolzierte an Bord.
Weitere Gesandte, Prokuratoren, Richter, Zehnerräte, Zensoren, Senatoren und die Häupter der Arti und Scuole bildeten den Abschluss des Zuges, der sich wie eine gewaltige bunte Schlange langsam in das Schiff hineinwand und dort verharrte. Die Würdenträger bezogen vor ihren Polsterstühlen an Deck Stellung und warteten, bis der Höchste unter ihnen, der Doge, auf seinem Thron am Heck der Galeere Platz genommen hatte. Er
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