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Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman

Titel: Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Paulina winkte wortlos das nächste Kind heran.
    Veronica, die sich ihre Portion bereits geholt hatte und über ihren Teller gebeugt am Tisch saß, lächelte Laura bedauernd zu. Wenigstens hattest du ein Stück Brot, schienen ihre Blicke zu sagen.
    Laura blieb hinter ihrem Stuhl stehen, wie es für solche Fälle des Nahrungsentzugs von Arcanzola vorgeschrieben war. Wie schon damals in der Karnevalswoche musste sie warten und zusehen, wie alle anderen ihr Mahl zu sich nahmen. Anschließend half sie wie immer beim Abräumen und Spülen, und wie erhofft gelang es ihr, von dem für das Abendessen vorgesehenen Brot einen Kanten zu ergattern und hastig hinunterzuschlingen, bevor die Aufseherin es bemerken und den Vorratsraum verschließen konnte.
    Nach dem Essen zog Monna Paulina sich wie üblich in ihre Kammer zurück, wo sie vermutlich dem Grappa zusprechen würde, bis es erneut Zeit zum Essen war. Zur Vesper trieb sie stets der Hunger wieder in die Küche, wo sie sich zunächst selbst mit allem möglichen Essbaren vollstopfte, ob mit Räucherfisch, Salami, gekochten Eiern oder manchmal sogar mit Kuchen, den die Nonnen gebracht hatten, der aber ausschließlich Monna Paulina und den Ammen vorbehalten war. Anschließend befahl sie regelmäßig alle Kinder, die in Rufweite waren, zu sich, um jedem einen Kanten Brot, einen Brocken Käse oder ein Stück Fisch und einen Becher Wasser auszuhändigen und dann die Vorratskammer wieder abzusperren, bevor sie abermals in ihrem Zimmer verschwand.
    Arcanzola tauchte zumeist in der Stunde nach der Vespermesse auf, manchmal nur einmal die Woche, manchmal aber auch an drei Tagen hintereinander. Es kam vor, dass sie nach wenigen Minuten wieder verschwand, aber ebenso gut konnte sie auch eine Stunde bleiben.
    Nachdem alle Aufräumungs- und Reinigungsarbeiten erledigt waren, lief Laura unruhig in ihrer Kammer auf und ab. Viel Platz gab es nicht dafür; zwei Schritte von ihrer Strohmatratze bis zu der von Lodovica, und von dort noch einen weiteren Schritt bis zu dem Gitterbettchen, in dem Matteo schlief.
    Matteo. Ihr Herz zog sich zusammen, wenn sie an ihn dachte. Wo Arcanzola ihn und Lodovica wohl hingebracht hatte? Und warum hatte sie den Kleinen und die Amme überhaupt fortgeholt? War das Teil ihrer Strafe?
    Es wäre der Nonne zuzutrauen. Sie war unberechenbar wie ein Raubvogel, der am Himmel kreiste und bei dem man nie wusste, wann er niederstoßen würde. Manchmal scherzte und sang sie mit den Kindern, manchmal kam sie nur, um sie zu verprügeln.
    Laura merkte, dass sie die Hände vor der Brust gefaltet hatte, und aus einer Gefühlsaufwallung heraus kniete sie auf den Holzbohlen nieder und senkte den Kopf zum Gebet. Sie flehte die Heilige Jungfrau an, dass Arcanzola sie nicht wieder hungern lassen würde wie in der Woche nach Karneval.
    Laura hatte versucht, den Hunger durch Gebete zu besiegen, und sich eingeredet, dass sie es angesichts der gerade begonnenen Fastenzeit leichter ertragen könne, doch es hatte nichts genützt. Schlimmer noch: Sie hatte in den schwärzesten Augenblicken der erzwungenen Askese mit dem Allmächtigen gehadert, weil sie im Gegensatz zu allen bußfertigen Heiligen und Märtyrern das Fasten nicht aushalten konnte.
    »Heilige Muttergottes, bitte mach, dass es Matteo und Lodovica gut geht und dass sie bald wieder herkommen! Und sorge dafür, dass ich zu essen bekomme! Lieber ertrage ich die doppelte Anzahl von Schlägen als noch einmal solchen Hunger!«
    Hinter ihr knarrte ein Dielenbrett, und Laura wusste, auch ohne hinzuschauen, wer gekommen war. Zögernd wandte sie sich zur Tür.
    »Wer weiß, mein Kind«, sagte Arcanzola mit dem ihr eigenen undeutbaren Lächeln. »Vielleicht gehen ja heute für dich noch ganze andere Wünsche in Erfüllung.«
    Die Gondel glitt durch das sich kräuselnde Wasser des Rio , der an den Häuserreihen vorbeiführte und am Ende der nächsten Biegung in den Canalezzo mündete.
    Arcanzola hatte sie nicht geschlagen, aber sie hatte auch nicht auf Lauras wiederholte Fragen geantwortet, wohin sie fuhren. Sie tat sehr geheimnisvoll.
    »Warum willst du es nicht einfach auf dich zukommen lassen?«
    »Werdet Ihr mich schlagen?«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Beim letzten Mal habt Ihr gesagt, wenn ich wieder weglaufe, werdet Ihr mich prügeln, bis das Blut spritzt.« Sie hatte Mühe, die Worte von damals zu wiederholen, doch etwas in ihr zwang sie dazu. Es war fast, als müsse sie einen Finger in eine Wunde legen, um zu prüfen, ob sie

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