Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
und dann ging ein Stöhnen durch die Menge, vereinzelt unterbrochen von entsetzten Ausrufen. Gleich darauf wurden die ersten Kommentare laut.
»Seht, das Blut!«
»Meine Güte, als würde man ein Schwein abstechen!«
»Sieht aus, als hätte der Henkersknecht ihm gleich die ganze Gurgel herausgeschnitten!«
»Was sie wohl mit der Zunge machen?«
»Natürlich dasselbe wie mit den Händen, die sie den Dieben abschneiden – in der Pfanne braten und essen.«
Wüstes Gelächter brandete nach diesem Witz auf, und Antonio, der bereits das Messer zum Schneiden angesetzt hatte, fuhr erschrocken zurück, als er die Hand auf der Schulter fühlte.
»Wenn das nicht mein junger Freund Anzio ist! Ah, nein, falsch, der Name war ja Antonio.«
Antonio stöhnte unhörbar, und um ein Haar hätte er einen Fluch ausgestoßen, der ihn gleich nach dem Unglücklichen, der soeben mit blutüberströmtem Gesicht weggeschleppt wurde, an den Pranger hätte bringen können.
Er ließ das Messer augenblicklich verschwinden und drehte sich schicksalsergeben um. »Gott zum Gruße, Messèr Mosè.«
»Ah, er weiß ebenfalls noch meinen Namen. Sei gegrüßt, mein Junge.« Mosè tippte an seinen gelben Hut und bedachte Antonio mit demselben verschmitzten Grinsen wie bei ihrer letzten Begegnung, doch diesmal hatte Antonio die Genugtuung, dass er auf den Kaufmann hinabsehen konnte – er war seit dem Frühjahr um einiges größer geworden, und er würde weiterwachsen. Nächstes Jahr würde er Mosè vielleicht sogar schon um Haupteslänge überragen – vorausgesetzt, sie würden einander abermals begegnen, worauf Antonio alles andere als versessen war.
Wie Antonio zu seinem grenzenlosen Verdruss gewahrte, hatte sich der Kaufmann mit der vielversprechenden Börse entfernt. Der Mann stand nun in etwa zehn Schritt Entfernung von ihm am Rand der Menge, neben einem Verkäufer, der in seinem Bauchladen frisches Obst feilbot.
»Sieht aus, als hätte ich dich soeben wieder vor einer großen Dummheit bewahrt«, meinte Mosè.
Antonio meinte, einen verärgerten Ton in der Stimme des Mannes wahrzunehmen, und er spürte einen Anflug von Wut. Was ging es den Juden an? Nur, weil Mosè zufällig auf gutem Fuße mit Crestina und Mansuetta stand, hatte er noch lange nicht das Recht, ihrem Knecht die Leviten zu lesen. Ihrem ehemaligen Knecht, wohlgemerkt.
»Was treibt dich eigentlich dazu, immer wieder lange Finger zu machen, wenn du dich genauso gut auf ehrliche Weise durchs Leben schlagen könntest?«
Antonio schwieg verstockt und blickte sich um, bereits auf dem Sprung, zu verschwinden. Mosè hatte ihn längst losgelassen; der Schlag auf die Schulter hatte eher Ähnlichkeit mit einer Begrüßung gehabt als mit dem harten Griff, den Antonio bei ihrer ersten Begegnung hatte erdulden müssen.
»Antonio, du hast gute Anlagen, Crestina ist derselben Meinung wie ich. Was bietet das Verbrecherdasein dir für Vorteile?«
»Vielleicht ist es nicht ganz so langweilig wie Blumenpflücken«, gab Antonio patzig zurück. Er zuckte zusammen, als sein Blick auf den zerlumpten, rothaarigen Jungen fiel, der scheinbar verstört durch die Menge streifte, bleich und mit Tränenspuren im Gesicht. Als er an dem Verkäufer mit dem Bauchladen vorbeikam, geriet er ins Stolpern und hielt sich an dem danebenstehenden Händler fest.
»Es tut mir leid, ehrenwerter Herr«, hörte Antonio den Jungen stammeln. »Das wollte ich nicht, verzeiht! Mir ist noch so elend von dem Anblick vorhin, ich bin nicht mehr sicher auf den Beinen!«
»Armer Kleiner«, erwiderte der Händler, während er in den Bauchladen des Verkäufers griff und eine Frucht herausholte. »Hier, nimm ein Stück Melone und iss rasch davon, vielleicht wird dir dann besser.«
Der Junge starrte ihn an und schluckte.
Verdammt, dachte Antonio, nimm das Melonenstück und hau ab!
Der Junge bedankte sich stotternd, dann war er schnell wie der Blitz in der Menge verschwunden.
Der Händler griff an seinen Gürtel, doch er hatte nichts mehr, womit er die Melonenspalte hätte bezahlen können. Verdutzt blickte er sich um, dann schaute er ringsum auf dem Boden nach, offensichtlich in der Annahme, er hätte seine Börse ganz einfach verloren. Sich ratlos am Kopf kratzend blickte er sich abermals um, dann kramte er in der Tasche seines Wamses nach vergessenen Geldstücken, um den Obstverkäufer zufriedenzustellen.
Mosè hatte den Vorfall von Anfang bis Ende verfolgt und lächelte ein wenig schief. »Der Kleine war besser als du.
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