Die Landkarte der Finsternis
mich besuchen kommen?«
»Ich glaube kaum, Bruno, ich glaube kaum.«
»WeiÃt du, was mir ein Marabut einmal gesagt hat â¦? Wer Afrika nur einmal im Leben sieht, der wird als Einäugiger sterben.«
Nach dem Abendessen nimmt Bruno mich hinter der Kantine zur Seite und eröffnet mir unter vier Augen:
»Wenn du willst, kann ich auch noch ein paar Tage länger bleiben, kein Problem.«
»Wieso denn das?«
»Keine Ahnung. Die Militärs könnten ja wiederkommen und weitere Informationen verlangen.«
»Sie haben unsere Erklärungen doch aufgezeichnet. Nein, fahr du nur. Du hast hier nichts mehr verloren. Geh zu den ÂDeinen zurück. Du hast ihnen ohnehin schon viel zu lange gefehlt.«
»Christophe Pfer hat mir erzählt, dass das Camp diverse Spendenlieferungen erwartet und der nächste Transportflug schon für nächste Woche anberaumt ist. Ich könnte mich mit dem Piloten absprechen.«
»Das wäre keine gute Idee, Bruno.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
Er umarmt mich kräftig und verschwindet in der Nacht.
Der Frachtflieger landet pünktlich um zehn in einem dröhnenden Gewölk aus Staub. Schwerfällig rollt der mächtige Blech- und Feuervogel bis ans Ende der Brachfläche, dreht sich um die eigene Achse und kommt auf das Camp zugerattert. Dort stehen schon an die zwanzig Männer bereit, um Hunderte von Kisten und Kartons auszuladen.
Mir aber nimmt dieses Flugzeug den Freund.
Bruno hat ein satinglänzendes Gewand angezogen und sich von Lotta sorgsam den Bart stutzen lassen. Sein krauser Bürstenschnitt schimmert in der Sonne, seine Augen sind von Khol umrahmt. Er schenkt mir ein breites Lächeln und kommt mit weit geöffneten Armen auf mich zu:
»Na, wie gefall ich dir?«
»Von deinem sich lichtenden Haupthaar abgesehen, bist du eine echte Schönheit.«
»Und an der Schönheit, hat Baudelaire mal gesagt, wird eine kleine Unvollkommenheit zum charmanten Accessoire.«
Bruno umarmt Christophe Pfer, dann Lotta, die er im VorÂübergehen noch schnell in den Po kneift. Er muss sich auf die Zehen stellen, um Orfane zu umarmen, und eine Träne unterdrücken, als er Elena umschlingt. Bei mir ist es dann um ihn geschehen, dicke Zähren hängen an seinen Wimpern. Wir schauen uns einen Augenblick lang wie hypnotisiert an, dann fallen wir einander in die Arme. Wortlos verharren wir so, lange Zeit, stumm ineinander verknotet.
»Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe, Kurt. Wer Afrika nur einmal im Leben sieht, der wird als Einäugiger sterben.«
»Ich werde es nie vergessen.«
Er bewegt den Kopf hin und her, greift nach einer groÃen Tasche, die prall mit Geschenken gefüllt ist, und läuft aufs Flugzeug zu. Der Pilot zeigt ihm, wo der Frachtraum ist, und bittet ihn an Bord. Bruno dreht sich ein letztes Mal um und winkt uns zum Abschied mit ausladenden Gesten zu. Als der Frachter komplett entladen ist, schlieÃt sich die Ladeluke, und das geflügelte Untier kriecht unter gewaltigem Propellerlärm auf die Piste. Wir laufen hinterher und wedeln mit den Armen. Bruno erscheint an einem der Bullaugen und wirft uns Handküsse zu, bis der Flieger, der sich in den Himmel emporschwingt, völlig vom Staub verschluckt ist.
Ich freue mich für Bruno und bin gleichzeitig traurig, ihn ziehen zu sehen. Unsere Freundschaft, die unter Schmerzen besiegelt wurde, ist unverbrüchlich. Keine räumliche Entfernung, kein Zeitabstand wird sie je schmälern können. Ganz gleich, wohin mein Weg mich noch führt, und egal, wie mein Leben in Freude und Leid künftig aussehen mag, immer, das weià ich gewiss, wird es in meinem Herzen einen Winkel geben, einen unantastbaren Bezirk, der die Spur dieser so tränenreichen und angsterfüllten Wochen bewahrt, die ich mit meinem unnachahmlichen französischen Weggefährten durchgestanden habe. Ich werde Bruno als wunderbaren Menschen in Erinnerung behalten, als jemanden, der aus nichts als Sensibilität besteht, mutig bis in seine Spinnereien hinein, allzeit edel, hilfreich und gut, den Armen näherstehend als viele Heilige oder Propheten und glücklich darüber, am Leben zu sein, obwohl es ihn hart gebeutelt hat. Noch weià ich nicht, was er mir fortan bedeuten wird, aber er wird für immer derjenige sein, der mich die bescheidensten Gesten gelehrt hat, mir ihren verborgenen Sinn, ihre Kraft und ihren
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