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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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verschwunden. Einige Lebensmittel aus der Küche, eine Tasche und ein Paar Schuhe hat er mitgehen lassen auf der neuerlichen Suche nach dem Meer. Für Bruno ist die Sache klar: Früher oder später würde dieser fabelhafte kleine Kerl seinen Traum wahrmachen. Auf seiner jugendlichen Titanenstirn stehe es geschrieben : Nichts und niemand wird ihn je aufhalten können.
    Eines Abends kommt Bruno in höchster Erregung in die Kantine gepoltert. Er bittet um Ruhe, breitet dramatisch die Arme aus und beginnt mit bebender Stimme zu deklamieren:
    Ich bin wie du
    Aus Fleisch und dem Blut
    Das ich vergossen habe
    Wie man Wein eingießt
    In den Kelch der Niedertracht
    Ich habe wie du
    Träume solche verbotenen Träume
    Die ich in mir verschließe
    Aus Angst sie an der Luft
    Sterben zu sehen
    Ich bin die Summe deiner Verbrechen
    Die Urne deiner Gebete
    Die aus deinem Leib verstoßene
    Seele des Zwillingsbruders von dem du
    Dich losgesagt hast
    Bin bloß ein alter Spiegel
    Zugeschnitten auf deine Maßlosigkeit
    Ein Spiegel der dir Größe vorgaukeln soll
    Dir der du doch so klein bist
    Bruno verneigt sich gravitätisch, macht einen majestätischen Schwenk mit dem Arm und richtet sich auf, um den vereinzelt aufkommenden Applaus entgegenzunehmen.
    Â» Black Moon , von Joma Baba-Sy«, sagt er und bewegt sich zur Raummitte hin, wo wir etwa ein Dutzend Leute sind, die zu Abend essen.
    Von neuem erbittet er unsere Aufmerksamkeit, dann legt er mit schelmischer Miene los:
    Â»Meine lieben Freunde, ich verlasse euch. Ich lasse euch allein mit euren Kämpfen, eurem Elend, eurem Leid und gehe. Ich lasse bei euch alle Tapferkeit, alle Opferbereitschaft, alle noblen Absichten und hehren Anliegen zurück … Ja, das alles lasse ich neidlos bei euch. Und wenn ihr wollt, vermache ich euch auch meine Verdienste, denn sie lassen meine Seele nicht länger erbeben. Für mich ist das Abenteuer mit dem heutigen Abend vorbei. Denn schon morgen geht es zu meiner wackeren und wohlbeleibten Gefährtin zurück, mit der ich die Welt unter dem Moskitonetz neu erfinden werde …«
    Einige gutmütige Lacher erschallen. Bruno kommt auf den Tisch zugeschossen, an dem ich mit Elena, Lotta und Orfane sitze, greift sich unterwegs einen freien Stuhl heraus und nimmt rittlings zwischen der Frauenärztin und dem Virologen Platz. Seine Augen treten vor lauter Freude hervor und leuchten wie zwei weißglühende Kugeln.
    Â»Ich komme gerade aus dem Büro von Christophe Pfer. Ratet mal, wen ich am anderen Ende der Leitung hatte? Den französischen Botschafter höchstpersönlich …! Er hat mir ganz offiziell erklärt, dass mein Fall sorgfältig geprüft worden ist und ich mir fortan keine Sorgen mehr zu machen brauche. Sie werden mir einen neuen Pass ausstellen und ein Einreisevisum für Dschibuti besorgen. Morgen fliege ich mit dem Provianttransporter nach Khartum zurück. Der Pilot hat schon entsprechende Anweisungen erhalten.«
    Â»Ich gratuliere«, sagt Lotta.
    Â»Ich habe die frohe Kunde eben meiner Lebensgefährtin überbracht. Sie war so was von glücklich, dass wir beide Rotz und Wasser geheult haben vor lauter Freude. Mein Bart ist noch ganz feucht.«
    Dann sieht er mich an:
    Â»Du wirst mir fehlen, Doktor Krausmann.«
    Meine Kehle ist so eng, dass ich keinen Ton hervorbringe.
    Er nickt und wendet sich den anderen zu:
    Â»Ihr auch.«
    Â»Du bist ein anrührender Mensch, Bruno«, gesteht Lotta. »Ein bisschen wirr, aber anrührend und faszinierend.«
    Â»Mein Hirn ist in der Sonne Afrikas geschmolzen. Vielleicht auch besser so. Je weniger man grübelt, umso größer sind die Chancen, alt zu werden … Gott im Himmel! Wie zufrieden ich bin! Ich werde heute Nacht kein Auge zutun, und bis morgen früh wird ein ganzes Jahrhundert vergehen. Ich sehe mich schon wieder zu Hause, in meiner bescheidenen Hütte, wo das Leben so herrlich ist … Wenn einer von euch mal durch Dschibuti kommt, dann kommt mich besuchen. Ohne Voranmeldung. Bei uns gibt es kein Protokoll. Geht einfach auf den Markt, fragt nach Bruno, dem Afrikaner – so nennen sie mich dort –, und jeder Dreikäsehoch wird euch zu mir nach Hause bringen. Ihr braucht noch nicht mal zu läuten. Wir haben ja gar keine Klingel. Ihr stoßt die Tür auf, und schon seid ihr drin, bei uns … Stimmt’s, Kurt?«
    Ich begnüge mich damit zu nicken.
    Â»Wirst du

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