Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
geschehen, und es bringt nichts, sich deshalb die Haare zu raufen.«
    Â»Ich bin ganz deiner Meinung, nur dass man sich auch bessern kann.«
    Â»Wie denn?«, fragt er und seine Stirn glättet sich.
    Â»Du kannst uns nützlich sein. Du kannst uns helfen zu fliehen.«
    Er schüttelt den Kopf, als hätte ihm gerade jemand einen Kinnhaken versetzt.
    Â»Was?«, ruft er mit erstickter Stimme. »Euch helfen zu fliehen? Was faselst du denn da? Für wen hältst du mich? Ich plaudere ein bisschen mit dir, und schon glaubst du, du hast mich im Sack. Ich wollte mich nur ein bisschen mit dir unterhalten. Außer Joma redet hier kein Mensch mit mir. Und selbst Joma, der redet nicht mit mir, der brüllt mich an … Wie kommt es, dass du mich für einen Idioten hältst?«
    Â»Versteh mich nicht falsch. Ich wollte dich doch gar nicht …«
    Â»Halt’s Maul!«, donnert er und richtete sich auf, den Säbel zum Angriff schwingend. »Da versucht man, ein bisschen nett zu dir zu sein, und schon willst du einen um den Finger wickeln. Warum sollte ich euch helfen, von hier abzuhauen? Was hätte ich davon? Und was soll ich hinterher tun? Wer hilft mir, wenn die Kerle mich wieder geschnappt haben? Wir sind in Afrika, verdammt! Wo immer du auch untertauchst, man wird dich entdecken. Und sehe ich vielleicht aus wie ein Verräter?«
    Er ist außer sich. Sein Säbel schwebt über meinem Nacken.
    Ich bin von diesem jähen Umschwung komplett überrascht und völlig ratlos, wie ich mich jetzt verhalten soll. Seine Schreie hallen wie Detonationen in der Höhle wider. Ich habe Angst, die anderen könnten ihn hören und kommen, um nach dem Rechten zu sehen. Doch da beruhigt er sich schon wieder, so schlag­artig, wie er sich aufgeregt hat. Im Handumdrehen ist aus ihm wieder der Junge geworden, der mir vom Fußball erzählt hat. Ich bin verblüfft. Mit wem habe ich es zu tun? Wer sind diese Menschen, die mit einem Fingerschnipsen ohne Vorwarnung vom Tornado zur Windstille wechseln? Verdutzt beobachte ich den Jungen, den Säbel, den er wieder gesenkt hat, seinen Blick, der wieder diese durchdringende Schärfe annimmt, bei der mir so unwohl wird.
    Er verwirrt mich noch mehr, als er in gemäßigtem, fast schon versöhnlichem Tonfall sagt:
    Â»Man sollte mich nicht für einen Trottel halten. Das ist nicht schön. Ich weiß schon, ich sehe nach nichts aus, aber ich habe doch meine Selbstachtung.«
    Â»Entschuldigung. Ich wollte dich nicht verletzen …«
    Â»Halt den Mund. Glaub ja nicht, ich wär nicht wütend, nur weil ich nicht brülle. Ich warne dich, behandle mich nie wieder wie einen Idioten. Joma sagt, in den Augen der Weißen hätten alle Afrikaner nur Schlamm im Schädel. Da täuschen sie sich aber gewaltig, die Weißen … Wir sind genauso intelligent wie ihr, auch wenn ihr berechnender seid als der Teufel.«
    Er hockt sich wieder hin, deponiert seinen Säbel neben sich, zieht die Knie zur Brust, verschränkt die Arme darüber und rührt sich nicht mehr. Nur seine Kieferknochen bewegen sich weiter mahlend in seinem Gesicht. Ich frage mich, ob er noch ganz klar im Kopf ist oder einfach ein genialer Komödiant.
    Nach langem Schweigen hebt er das Kinn und fragt mich:
    Â»Glaubst du, dass Beckenbauer noch lebt?«
    Ich halte es für klüger, das Gespräch nicht wieder aufleben zu lassen.
    Am nächsten Tag bringt uns ein anderer Junge das Essen. Blackmoon setzt keinen Fuß mehr zu uns in die Höhle. Ich sehe ihn von Zeit zu Zeit draußen vorübergehen, aber nicht ein Mal blickt er in meine Richtung.
    Am Nachmittag erwacht Hans endlich aus seiner Lethargie. Er steht auf wackligen Beinen, schlotternd vor Fieber und Hunger, und versucht verzweifelt, sich von seinen Ketten zu befreien.
    Â»Was ist denn los?«, frage ich ihn.
    Er bekommt keinen Ton heraus. Entsetzt starrt er auf eine Felsspalte in der Höhle, während sein Adamsapfel panisch auf- und abhüpft. Und erst seine Stimme, kaum wiederzuerkennen in einem Gesprudel bebender Tremolos:
    Â»Eine Schlange … da drüben … eine Schlange …«
    Erst denke ich, er leide unter Halluzinationen, aber dann folge ich seinem Blick und sehe, nur wenige Schritte von uns entfernt, einen Schatten, der sich bewegt. Mein Blut gefriert. Ein konischer Kopf, so breit wie eine Hand, gleitet über einen Stein; eine Schlange, mehr als

Weitere Kostenlose Bücher