Die Landkarte der Finsternis
sehr ungerecht und völlig im Irrtum. Wenn er unfähig ist, eine der groÃherzigsten Einrichtungen unserer Zeit als das zu erkennen, was sie ist, dann ist er blind und hat kein Herz.«
»Mir persönlich ist das egal. Ob nun Söldner oder Spion, das ändert nichts an meinem Leben. Und auÃerdem mache ich keine Politik â¦Â«
»Joma, ist das der Riese mit den vielen Amuletten?«
»Die Amulette sind echt, die stammen von einem groÃen Marabut. Jedes Amulett hat eine andere Wirkung. Sie beschützen Joma vor Angst, Unglück, Kugeln und Verrat.«
»Das ändert auch nichts daran, dass er sich irrt. Er sollte ein Amulett gegen Vorurteile tragen.«
»Das liegt in seiner Natur. Er ist nun mal so, basta.«
Er spitzt die Ohren, vergewissert sich kurz, ob auch niemand in der Nähe der Höhle ist, kommt zurück und nimmt wieder neben mir Platz. Sein Blick wird milder.
»Warum hast du ständig diesen Säbel dabei?«, versuche ich, ihn zu ködern. »Wir sind doch angekettet und haben nicht vor, uns zu schlagen.«
Bedächtig wiegt er den Kopf hin und her:
»Das ist kein Säbel, das ist eine Machete.«
»Aber eine ganz gefährliche Waffe.«
»Das ist nur ein Stück Blech. Gefährlich ist, was man damit anstellen kann.«
DrauÃen fängt der Koloss wieder an, seine Mannen zusammenzuschreien. Ein rätselhaftes Lächeln huscht über das Gesicht des Jungen, während er seine spitzen Schultern hochzieht.
»Ganz ehrlich, ihr seid wirklich Deutsche?«
»Ja klar.«
»Wow â¦! Und du kennst Beckenbauer?«, erkundigt er sich so unvermittelt, dass ich mich sekundenlang frage, ob ich mich nicht verhört habe, so befremdlich erscheint mir der Themenwechsel.
»Franz Beckenbauer?«
»Ja, genau der ⦠Hast du ihn mal getroffen?«
»Nein.«
»Wohnst du denn nicht in Deutschland?«
»Doch.«
»Unmöglich. Du kannst nicht im selben Land leben wie er, ohne ihn mal getroffen zu haben.«
»So ist es aber. Es gibt Leute, die wohnen im selben Gebäude, ohne sich auch nur einmal über den Weg zu laufen.«
»Das ist ja verrückt. Bei uns kennen sich alle ⦠Mein Vater hätte sonst was dafür gegeben, Beckenbauer kennenzulernen. Er war ein Fan von ihm. Das einzige Poster, das wir zu Hause hatten, war das von Beckenbauer, wie er, den Arm in der Schlinge, einem Gegner den Ball wegdribbelt. Es hing schon lange vor meiner Geburt an der Wand. Und wenn mein Vater vor diesem Poster stand, dann war er wie in einer anderen Welt ⦠Sonst hatten wir keine Fotos bei uns zu Hause. Weder vom GroÃvater, der in einem Brunnen ums Leben gekommen ist, noch von der GroÃmutter, die ich nie kennengelernt habe â¦Â«
Ich vermag ihm nicht zu folgen.
Er nagt an seinen Fingernägeln, wie ein Erdhörnchen, und gerät ins Schwärmen:
»Ich glaube, der Name Beckenbauer war das erste Wort, das ich gehört habe. Mein Vater wollte immer, dass die Leute ihn âºKaiserâ¹ nannten, aber im Dorf hieà er bei Groà und Klein immer nur âºBeckenbauerâ¹. Er hatte aber auch Stil, mein Vater. Er war ein groÃer, ruhiger Typ und spielte im örtlichen FuÃballclub. Naja, war nicht direkt ein Club, eher eine Bande von FauÂlenÂzern, die den ganzen Tag über einen zerdellten Ball über die staubige Steppe kickten. Wenn einer ein Tor schoss, machte er einen Luftsprung und boxte ins Leere, bevor er zur âºTribüneâ¹ grüÃte. Die Tribüne, das waren ein paar Gören und einige Ziegen, die im Gestrüpp grasten ⦠Mein Vater war der Vorstopper. Er trug die Kapitänsbinde, obwohl er gar nicht der Mannschaftskapitän war, und ein weiÃes Trikot, auf das er am Rücken mit Filzstift eine groÃe Fünf geschrieben hatte. Die Shorts hatte er sich aus einer langen Hose geschnitten und tagelang in selbstgebraute Lauge getaucht, um sie schwarz zu färben. Er trug am liebsten die Farben der deutschen Nationalmannschaft, weiÃes Trikot und schwarze Shorts. Das mit dem Trikot war okay, aber bei den schwarzen Shorts hatte mein Vater sich in der Mixtur vertan. Nach dem Spiel bekam er Pickel am Hintern und rings um die Genitalien. Und am nächsten Tag hatte er furchtbare Schmerzen und bewegte sich, als hätte er in die Hose gemacht.«
Ich habe Mühe zu begreifen, dass man in diesem Teil der Welt, wo man einen Mann so sorglos ins Meer
Weitere Kostenlose Bücher