Die Landkarte der Finsternis
â hellbraun, sandweià umrandet, die Ränder der Iris von winzigen milchigen Kügelchen durchsetzt â, aber man bekommt sie nicht zu fassen, sie sind so faszinierend, dass sie beinahe den Rest des Gesichts verdecken. Nur diese Augen fallen einem auf, über einem schmächtigen Körper, der mit zwei Armen ausgestattet ist, kaum dicker als Besenstiele, und zwei relieflosen Beinen, die zwei Krücken ähneln ⦠Augen, so beunruhigend wie eine jähe, unerklärliche Furcht.
»Joma wird schnell ungemütlich«, warnt er mich aus heiterem Himmel. »Mit dem ist nicht zu scherzen. Ein falsches Wort, schon rastet er aus.«
Ich habe keine Ahnung, worauf er hinauswill, und verkneife mir jede Antwort. So wie er da vor mir sitzt, mit gezücktem Säbel, während Hans und ich völlig wehrlos sind, das ist mir nicht geheuer.
»Seid ihr richtige Deutsche?«
»â¦Â«
Mein Schweigen kränkt ihn. Seine Kiefer verkrampfen sich. Mit Mühe unterdrückt er einen Wutanfall. Nachdem er sein Brillengestell zurechtgerückt und seine Fingernägel inspiziert hat, schnieft er und murrt:
»Sehe ich aus wie ein Geheimagent?«
»Was willst du von uns?«
»Sehe ich aus wie ein Geheimagent?«
»Ich habe nicht gesagt, dass du einer bist.«
»Und warum antwortest du mir dann nicht? Ich habe nicht vor, euch auszuhorchen.«
Ich schweige, aus Angst, etwas Ungeschicktes zu sagen, das ihn verletzen könnte. Sein Blick, die Art, wie er an seiner Brille und seinen Fingern rumspielt, sein rasch wechselndes, bald überdeutliches, bald nicht zu deutendes Mienenspiel, lassen auf einen zutiefst instabilen Charakter schlieÃen.
»Joma sagt, ihr seid Söldner oder Spione.«
»â¦Â«
»Die anderen glauben ihm natürlich nicht. Joma liest zu viele Bücher, er sieht überall das Schlimmste. AuÃerdem ist er allergisch gegen die WeiÃen.«
»Wenn die anderen nicht seiner Meinung sind, warum lassen sie uns dann nicht laufen?«, fragt Hans, der noch immer mit angewinkelten Beinen am Boden liegt, ohne sich umzudrehen.
»Weil sie nicht das Kommando führen. Joma auch nicht. Die Entscheidungen trifft Moussa, der Boss.«
»Und wo ist Moussa, der Boss?«, frage ich.
»Weià ich nicht.«
»Wann kommt er zurück?«
»Wenn er Lust hat. Jetzt muss er erst mal die Yacht loswerden â¦Â«
Verlegen kratzt er sich mit dem Säbel am Rücken. Er hat Lust zu reden, weià aber nicht, worüber. Für mich ist es wichtig, dass er redet, ich will wissen, wer seine Komplizen sind, was sie mit uns vorhaben und wo wir überhaupt sind; und vor allem muss ich herausfinden, wie groà unsere Chance ist, hier wieder wegzukommen, und dann mit der Kraft der Verzweiflung daran glauben, so wie der Verurteilte an ein Wunder glaubt, der schon sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft hat und sich dennoch weigert, den Kampf aufzugeben. Der Junge scheint zugänglich zu sein. Wer weiÃ? Es gibt keinen Kriminellen, der sich nicht irgendwo noch bei seinen Gefühlen packen lieÃe. Solange er so etwas wie eine Seele hat, wie tief sie unter seiner Bestialität auch vergraben sein mag, ist es immer noch möglich, zu ihr vorzudringen, sofern man nur den Riss in seinem Panzer entdeckt.
»Bist du auch allergisch gegen die WeiÃen?«, frage ich ihn, um ihn zum Weiterreden zu ermuntern.
»Nicht unbedingt«, und während er seine Brille auf die Augenbrauen hochschiebt, redet er sich in Fahrt. »Ich habe nur gar keinen Umgang mit ihnen. Den ersten WeiÃen aus Fleisch und Blut habe ich vor drei Jahren gesehen. Das war einer vom Roten Kreuz. Für Joma ist das Rote Kreuz eine moderne Form von Missionarstum, weiÃt du, diese Typen in Soutane, die früher mal den Stämmen die frohe Botschaft brachten. Für Joma kommen die alle aus demselben Nest von Spitzeln, nur dass die weiÃen Väter damals die Bibel hatten, und die Docs von heute haben den Impfstoff.«
»So ein Unsinn«, wende ich ein. »Wie kann er denn so etwas Törichtes behaupten? Das Rote Kreuz ist eine NGO. Es ist bei uns genauso aktiv wie bei euch. Viele Mitarbeiter haben die Hilfe, die sie anderen bringen, mit dem eigenen Leben bezahlt. Sie sind überall da, wo Menschen leiden, Hautfarbe oder Religion spielen für sie keine Rolle. Weder Kriege noch Diktaturen, weder Epidemien noch Straflager halten sie ab. Dein Freund ist
Weitere Kostenlose Bücher