Die Landkarte der Finsternis
Entwicklungshelfer?«
»Wir waren nur auf der Durchreise. Die Piraten haben uns auf hoher See gekidnappt ⦠Und Sie?«
»Ethnologe ⦠Glaube ich jedenfalls.«
»Sind Sie schon lange hier?«
»Seit vierzig Jahren ⦠Also in Afrika, meine ich. Ich liebe Afrika â¦Â«
Hans beugt den Rücken nach vorn; das Wasser tut ihm gut. An manchen Stellen ist der Grind schon aufgeweicht und beginnt die Fäden des Stoffes freizugeben.
»Lieber nicht bewegen«, rät ihm der Fremde, »sonst fängt es wieder an zu bluten â¦Â«
Er schüttet noch ein wenig Wasser über den Bereich, wo der Stoff nach wie vor mit dem Schorf verklebt ist, und bemerkt:
»So betrüblich es ist, ich bin doch zufrieden, endlich Gesellschaft zu haben. Ich habe schon angefangen, Selbstgespräche zu führen ⦠Wie finden Sie denn unseren FettkloÃ?«, fügt er, auf den Hauptmann anspielend, hinzu. »Als GroÃkotz ist er einfach unschlagbar ⦠Er hat sich zum Offizier von eigenen Gnaden ernannt und denkt, mit seinen zehn StraÃenkötern sei er Herr einer ganzen Kompanie. Ich kenne ihn von früher. Er war Hauptfeldwebel in der regulären Armee, bevor er sich wegen Schmuggel vor einem Militärgericht zu verantworten hatte. Er hat Dosenrationen aus den Lagerbeständen seiner Einheit gemopst und sie auf dem Schwarzmarkt verhökert. Dann hat er jede Menge Schmiergeld bezahlt, um aus dem Knast freizukomÂmen, und eine Bande von Schwachköpfen um sich geschart, mit deren Hilfe er unter dem Deckmantel des Bürgerkriegs seine Machenschaften betreibt.«
»Und was sind das für Leute?«
»Gefährliche Wendehälse. Mal nennen sie sich Widerstandskämpfer, mal Revolutionäre. Für welche Sache sie kämpfen? Das kann dir keiner von denen beantworten. Wenn der Wind der Ideologie durch ihre Hirnwindungen bläst, denken sie sich Parolen aus und berauschen sich so lange daran, bis sie selber nicht mehr wissen, warum. Diese Typen sind so wirr im Kopf, dass man sich fragt, ob sie überhaupt einen haben. Sie denken nicht, sie zielen. Sie reden nicht, sie schieÃen. Sie arbeiten nicht, sie plündern. Das Licht am Ende des Tunnels haben sie längst aus den Augen verloren. Sie haben vergessen, wie sie überhaupt auf Abwege geraten sind, und nicht die geringste Idee, wie das alles einmal für sie enden wird ⦠Sie halten mich sicher für einen Schwätzer! Sehen Sie es mir nach. Ich habe schon so lange mit keinem mehr reden können, und obwohl hier die Wände Ohren haben, sind sie leider alle stumm und wollen mir partout nicht antworten.«
Unvermittelt streckt er mir die Hand hin:
»Entschuldigen Sie, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Man vergisst hier sehr schnell die Regeln des guten Benehmens ⦠Ich bin der Bruno und komme aus Bordeaux â Frankreich.«
»Das hier ist Hans, und ich bin Kurt â¦Â«
»Freut mich, euch kennenzulernen, auch wenn die Rahmenbedingungen nicht gerade ideal sind â¦Â«
Ich helfe Hans, sein Hemd auszuziehen und sich flach auf den Bauch zu legen. Der Schnitt in seinem Rücken ist gewaltig, er zieht sich über die halbe Hüfte. Jetzt, wo der Schorf aufgeweicht ist, kann man den Wundgrund erkennen, der wenig Anlass zur Freude gibt: Er ist von feinsten eitrigen Ãderchen durchzogen und besitzt wulstige, sich nach auÃen wölbende Ränder mit dunkelbraun verfärbtem Saum und blässlichen Wundwinkeln; das Gewebe rings um die Wunde ist bleich und weist auf einem gut und gern fingerbreiten Streifen erste Anzeichen einer pergamentartigen Veränderung auf, während sich beidseits des Einschnitts eine Verfärbung von der Wirbelsäule bis zum Leistenansatz hinzieht, die ins Purpurgraue geht.
»Na, wirklich hübsch sieht das ja nicht aus«, konstatiert der Franzose.
»Ich muss dringend die Wunde reinigen und etwas finden, um sein Fieber zu senken.«
Der Franzose geht zu seiner Matte und kommt mit einem kleinen Plastikbeutel und einem Flakon mit einer Salbe von widerlichem Aussehen zurück.
»Das kannst du ihm auf die Wunde streichen.«
»Was soll das sein?«
»Ein Pulver aus Heilkräutern. Desinfiziert und beschleunigt den Heilungsprozess. Und die Pomade hier hilft gegen den Juckreiz.«
»Kommt nicht in Frage. In der Wunde tummeln sich schon genügend Keime â¦Â«
»Ach, ich bitte dich«, unterbricht er mich
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