Die Landkarte der Finsternis
stören?
Doch Joma wirkt konsterniert. Er ist hier, um aufzutrumpfen, und meine plötzliche Kapitulation nimmt ihm die Luft aus den Segeln. Jetzt muss er seine Tiraden auf später verschieben. Vermutlich um das Gesicht zu wahren, zielt er mit dem Finger auf mich und erklärt:
»Du machst Fortschritte, Doktor. Du beginnst zu begreifen, was es heiÃt, Afrikaner zu sein.«
Und er verschwindet.
»Uff«, macht Bruno und fächelt sich erleichtert Luft zu. »Kommt nicht oft vor, dass Joma jemanden, der ihm widerspricht, nicht zusammenschlägt. Was um alles in der Welt hast du ihm bloà erzählt?«
Ich antworte lieber nicht.
Und Bruno fragt nicht weiter nach.
»Jedenfalls hast du dich grandios aus der Affäre gezogen.«
»Hattest du schon einmal mit diesem Mann zu tun?«
»Nein, ich nicht. Aber ich habe ihn ausrasten sehen. Wenn du einen Rat willst â geh ihm lieber aus dem Weg.«
»Ist er sehr nachtragend?«
»Schlimmer, er hat sie nicht alle. Niemand hier kann ihn ausstehen. Weder seine Waffengefährten noch seine Schutzengel. Er ist eine Art wildgewordene Dampfwalze, die nichts und niemanden verschont. Offenbar hat er sich alles, was er so von sich gibt, angelesen. Er liebt es, lange Reden zu schwingen. Doch sobald er den Mund aufmacht, schleicht sich alles davon.«
»Glaubst du, dass er mich jetzt in Ruhe lässt?«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Die anderen langweilen ihn doch alle zu Tode.«
Hans hat sich inzwischen die Schuhe ausgezogen und hält seine mit Blutergüssen übersäten FüÃe ins Sonnenlicht, apathisch gegenüber dem Geschehen ringsum. Langsam bewegt er seine Zehen in dem einen Lichtstrahl, der den Weg in unsere Zelle gefunden hat, und massiert sich die Knöchel, mit unnatürlich trägen, schwerfälligen Bewegungen. Bruno merkt wohl, dass im Kopf meines Freundes etwas nicht stimmt, aber er sieht diskret darüber hinweg.
»Wie lange bist du schon hier?«, frage ich den französischen Ethnologen.
»Ich habe längst aufgehört, für jeden Tag ein Kreuz zu machen. Dazu bräuchte ich einen Stift ⦠drei oder vier Monate vielleicht â¦Â«
»Was?«, entfährt es mir. Ich bin fassungslos.
»Nun ja, der Geiselmarkt ist im Moment gesättigt«, klärt er mich auf. »Jetzt warten sie darauf, dass die Lage sich entspannt, um erneut in Verhandlungen einzutreten und die Lösegeldforderungen nach oben zu treiben ⦠Soviel ich weiÃ, hat eure Regierung schon einmal den Erpressungen von Piraten nachgeÂgeben, um deutsche Staatsangehörige freizukaufen. Es dürfte schwierig sein, sie davon zu überzeugen, weitere Geldsummen zu überweisen, zumindest in nächster Zeit â¦Â«
»Wer genau sind denn unsere Entführer? Al-Qaida? Rebellen? Soldaten?«
»Zwischenhändler.«
»Was soll das denn heiÃen?«
»Was es eben heiÃt: Sie betreiben Zwischenhandel. Wie es halt so läuft im Geschäftsleben. Da gibt es die GroÃbetriebe und die Zwischenhändler. Was uns betrifft, wir sind in den Händen gewöhnlicher Abenteurer. Zwanzig Leute, wenn es hochkommt. Da sie weder mächtig genug noch dafür ausgerüstet sind, auf Âeigene Rechnung zu agieren, haben sie sich auf den Zwischenhandel verlegt. Wenn sie eine Geisel in Händen haben, bieten sie sie einer gröÃeren Gruppe an, die dann ihrerseits die Geisel an eine noch potentere Gruppe verkauft und so fort, bis hin zu den organisierten Verbrecher- oder Terrorismus-Banden, die das Zeug haben, mit den Regierungen zu verhandeln.«
»Ich muss gestehen, das übersteigt mein Vorstellungsvermögen«, bekenne ich seufzend.
Der Franzose kratzt sich am Kopf und überlegt:
»Also, ich zum Beispiel, ich wurde zusammen mit einem Sonderkorrespondenten des italienischen Fernsehens entführt. Ich kenne das subsaharische Afrika und den Sahel aus dem Effeff und arbeite hin und wieder als Führer für Journalisten aus Europa oder Amerika. Manchmal habe ich sogar Exklusivinterviews mit bestimmten Warlords oder Anführern der örtlichen Unterwelt für sie arrangiert. Eine Gruppe von Kleinkriminellen hat uns kurz vor Mogadischu abgefangen und für fünftausend Dollar an eine Gruppe Rebellen verschachert, die uns für zwölftausend Dollar an Terroristen weiterverkauft haben. Die haben den Auslandsreporter freigelassen, weil sein Fernsehsender bereit
Weitere Kostenlose Bücher