Die Landkarte der Finsternis
war, das Lösegeld zu zahlen, während ich für eine Kiste Munition und drei Antipersonenminen an Schmuggler weiterverscherbelt wurde. Von denen hat mich der selbsternannte Hauptmann Gerima für zweihundert Liter Trinkwasser und eine gebrauchte Kurbelwelle erstanden, und seitdem warte ich auf den nächsten Kunden, der sich für mich interessiert.«
»Das ist doch der helle Wahnsinn.«
»Das kannst du laut sagen.«
»Pscht!«, zischelt Blackmoon, der mit seinem Säbel vor unserem Kerker Stellung bezogen hat.
Man bringt uns etwas zu essen. Ranzige Hirsefladen und ein paar Streifen Dörrfleisch.
Als Hans eingeschlafen ist, zieht Bruno sich auf sein Lager zurück, setzt sich eine ramponierte Brille auf die Nase, lehnt sich gegen die Wand und schlägt ein abgegriffenes Buch über seinen angezogenen Knien auf.
»Hast du schon einmal versucht, von hier zu entkommen?«
Ohne den Kopf zu heben, deutet er ein kleines Lächeln an:
»Wohin sollte ich denn gehen? Die nächste Wasserstelle ist achtzig Kilometer südlich von hier. Dort hinter dem Hügel ist nichts als Flachland. Und nach vorne zu ein karges Tal. Man hat keine gröÃere Chance, unbemerkt davonzukommen, als eine Küchenschabe auf einer Wachstuchdecke. AuÃerdem sind rings ums Lager Posten stationiert, und die haben übernervöse Finger.«
»Wo sind wir überhaupt?«
Er legt sein Buch zur Seite und wendet sich mir zu:
»Irgendwo in der Hölle auf Erden. Somalia, Ãthiopien, Dschibuti, Sudan, ich habe nicht die leiseste Ahnung. Sie verlegen unablässig ihren Standort, vor allem nachts. Das hier ist nur ein Durchgangslager. Nach drei, vier Wochen gehtâs in ein anderes Versteck. Das tun sie nicht, um ihre Spuren zu verwischen, sondern um nicht abgeschlachtet zu werden. Es gibt jede Menge Banden von Geistesgestörten hier in der Gegend, und sie sind sich untereinander nicht grün. Einen fest abgegrenzten Aktionsradius haben sie nicht, jede Horde schweift aufs Geratewohl umher. Die Logistik ist eine Frage des Zufalls; wer keine Verbündeten hat, ist geliefert. Die Gegend hier ist fest in den Händen der Räuber und Rebellen. Die reguläre Armee ist nicht stark genug, um sich weit von ihren Basislagern zu entfernen. Der beste Beweis dafür ist, dass dieser Stützpunkt, den unsere Entführer besetzt haben, einmal ein vorgeschobener Armeeposten war. Nach einem Rebelleneinfall wurde er aufgegeben, und seither wohnt hier nur noch der Wind. Hundert Kilometer östlich von hier liegt ein Dorf, aber nachdem es keine Garnison mehr im Sektor gibt, haben die Bewohner das Weite gesucht.«
Hans bittet uns, still zu sein.
Bruno gehorcht; er drückt seinen Kopf in einen Stofflappen, der ihm als Kissen dient, und verschränkt die Finger über dem Bauch. Schon nach wenigen Minuten atmet er tief und regelmäÃig und fängt an zu schnarchen.
DrauÃen erzählen sich drei Wachen unter lautem Lachen Geschichten. Sie palavern in ihrer lokalen Mundart, dennoch errate ich, dass es um Beutezüge, Scharmützel, Tod und Hinterhalt geht. Sie machen »paff!« und »ta-ta-ta!«, um die Geschosssalven zu beschreiben, äffen die flehentlichen Bitten ihrer Opfer nach und lachen sich halb kaputt über den Schrecken eines Neulings.
Dann tritt mit einem Schlag â als ginge ein Fallbeil nieder â abgrundtiefe Stille ein.
Durch die Ritzen im Blechdach beginnt eine Brise zu wispern. Hans liegt mit offenen Augen da. Wie will er denn einschlafen, wenn er mit offenen Augen daliegt? Mich aber beschleicht langsam die Müdigkeit, bemächtigt sich meiner Gedanken, und ich nicke ein.
Mitten in der Nacht weckt mich Hans. Er sitzt kerzengerade auf seiner Matte, und gespenstisch zeichnet sich seine Silhouette im Halbdunkel ab.
»Ich glaube, Tao ist noch mal davongekommen«, flüstert er mir mit tonloser Stimme zu. »Ich bin inzwischen fest davon überzeugt. Erinnerst du dich, wie man uns auf die Feluke gebracht hat? Ich hatte meine Yacht gut im Blick, und da war kein Rettungsring mehr an Deck. Tao muss ihn sich gegriffen haben, als er über Bord geworfen wurde. Ich bin mir ganz sicher, Tao ist so wendig, er hat das nicht tatenlos mit sich geschehen lassen.«
»Es war finstere Nacht, Hans. Man konnte ja kaum die Yacht erkennen.«
Er runzelt die Stirn und legt sich wieder hin, die Augen weit geöffnet.
Sein Schuldgefühl treibt ihn tiefer
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