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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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dem die Ehrenbezeugung gilt, salutiert selbstgefällig zurück. Dem Protokoll haftet etwas derart Theatralisches und zugleich maßlos Devotes an, dass ich hätte lächeln müssen, wäre Hans nicht im selben Moment vor mir zusammengebrochen. Joma zerrt ihn unsanft hoch und hält ihn fest, damit er nicht wieder in sich zusammensackt.
    Der Offizier schreitet die Front seiner Schergen ab, ohne Hans oder mich zu beachten, und nimmt zerstreut Moussas Lagebericht in irgendeinem regionalen Dialekt entgegen. Ein tintenschwarzer Typ, dieser Offizier, so stämmig wie ein Kilometerstein, mit kahlgeschorenem Schädel obenauf, der hals- und kinnlos über den Schultern sitzt, und ohne erkennbares Interesse am Bericht seines Untergebenen. Sein Gesicht entbehrt praktisch jeder Physiognomie: eine verbeulte Kugel mit geweiteten Nasenlöchern, aus der zwei Kulleraugen Blitze schießen. Weiter unten quillt ein Fettbauch aus der offenen Matrosenjacke, auf dem, gleich einer Schärpe, ein protziges US-Koppel prangt. Endlich gönnt uns der Offizier einen herablassenden Blick. Moussa händigt ihm eilfertig unsere Pässe aus, tritt dann zurück ins Glied. Während der Kompaniechef in unseren Papieren blättert, wandern seine Kulleraugen prüfend zwischen den Passbildern und unseren Gesichtern hin und her. Er streicht sich mit dem Daumen über die Mundwinkel, kommt näher heran und mustert uns hochnäsig.
    Â»Ich bin Hauptmann Gerima«, schnarrt er los, wobei er sich in den Hüften wiegt. »Und das ist mein Reich. Ich bin hier der Herr über Leben und Tod; ein Wink von mir genügt … Das Schicksal hat euch meinen Weg kreuzen lassen. Meine Schuld ist das nicht. Was kann die Spinne dafür, wenn die Mücke sich im Netz verfängt? So ist das im Leben. Schon immer hat die Welt so funktioniert, seit grauester Vorzeit. Grau sind die Zeiten bis heute. Und grausig dazu. Der Menschheit Morgengrauen hält bis heute an …«
    Hingerissen vom eigenen rhetorischen Überschwang hält er kurz inne, um sich zu vergewissern, dass es seinen Männern auch so geht, dann fährt er fort:
    Â»Ich weiß nicht, wie lange ihr bei uns bleibt. Aber ich warne euch, von hier versucht keiner zu fliehen. Wenn ihr brav seid, wird man euch gut behandeln. Ansonsten … ich erspar euch die Details.«
    Er verstummt, schlagartig. Sind ihm die Ideen ausgegangen? Oder hat er nur den Faden der Ansprache verloren, an der er letzte Nacht eigens für uns gefeilt haben dürfte? Jedenfalls macht er auf dem Absatz seiner frisch gewichsten Stiefel kehrt und taucht ab in seinen Bau.
    Zwei Männer stoßen uns in den vergitterten Verschlag gegen­über dem Kommandoposten, lösen unsere Fesseln und ver­schwin­den, ohne die Tür zu schließen. Hans schleppt sich bis zu einer Matte, die auf dem blanken Boden liegt, und versucht, sein Hemd loszuwerden, ohne Erfolg. Als ich ihm helfen will, sehe ich, dass die Wunde sich beim Trocknen um ein Stück Stoff geschlossen hat.
    Â»Befeuchten Sie die Wunde mit Wasser«, rät uns eine Stimme. »Das weicht den Grind auf.«
    Ein Weißer, den wir nicht bemerkt hatten, kommt hinter einem Moskitonetz im dunkelsten Winkel des Raumes hervor. Ein Lichtstrahl fällt auf das Eremitengesicht eines klapperdürren Fünfzigers mit schütterem Haar, das ihm bis auf die Schultern reicht, und einem fransigen Bart. An seinem nackten Oberkörper stehen die Rippen hervor, und sein Bauch klebt geradezu an der Wirbelsäule. Seine Augen glänzen wie die eines Kranken.
    Â»Franzosen?«
    Â»Deutsche«, antworte ich.
    Er blickt mitfühlend zu Hans herüber.
    Â»Ist er verletzt?«
    Â»Ein Säbelhieb. Er brennt vor Fieber.«
    Â»Befeuchten Sie die Wunde mit Wasser. Das wird ihm guttun.«
    Â»Ich bin Arzt«, erwidere ich, um ihm klarzumachen, dass ich meinem Freund auch ohne fremde Hilfe beistehen kann.
    Er zieht eine eiserne Feldflasche unter einem Haufen unterschiedlichster Objekte hervor und kommt näher.
    Â»Das hier ist meine tägliche Wasserration«, bemerkt er mit vielsagender Miene. »Hier ist alles rationiert, sogar das Beten … Sieht aber nicht gut aus, Ihr Kamerad.«
    Ohne meine Erlaubnis abzuwarten, tröpfelt er Wasser auf Hans’ Wunde, bis das Gewebe aus Stoff und Schorf sich vollgesogen hat, dann drückt er mit dem Finger behutsam auf den Grind.
    Â»Reporter oder

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