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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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trauernde Witwer, der bisher kaum Zeit zum Trauern hatte, aus meiner Bruchlandung in diesen todbringenden Gefilden ziehen …? Was mich bei meinen Kidnappern vor allem stört, sind weder ihre Holzfällermanieren noch ihr verwahrlostes Aussehen, wie es das Leben in der Wildnis nun mal mit sich bringt. Aber ihre Art, von heute auf morgen zu leben, verrät einen Bewusstseinsmangel, der die Gefährlichkeit, die von ihnen ausgeht, für mich auf dieselbe kreatürliche Ebene einer permanent lauernden Bedrohung hebt wie einen Schlangenbiss; ihre bloße Gegenwart ist für mich schon das reinste Fegefeuer …
    Da taucht Bruno auf, setzt sich neben mich auf die Türschwelle und legt mir mitfühlend die Hand auf die Schulter. Die Berührung ist mir zuwider, doch ich weiche ihm nicht aus.
    Â»Das kommt schon in Ordnung«, tröstet er mich. »Alles kommt irgendwann in Ordnung.«
    Â»Glaubst du, die werden uns töten, falls sie keinen Abnehmer für uns finden?«
    Â»Dann hätten sie mich schon längst aus der Welt geräumt. Niemand sucht nach mir, und mein Marktwert ist denkbar gering.«
    Â»Aber freigelassen haben sie dich auch nicht.«
    Â»Ich bin mir sicher, die lassen uns laufen, sobald sie genügend Geld beisammenhaben, um in ihre Dörfer zurückzukehren. Gerima ist nur ein Gauner. Er kann es kaum abwarten, seine Kohle irgendwo in einem beschaulichen Bordell auf den Kopf zu hauen, möglichst weit weg von allen Kriegsgebieten, wo man ihn, und das weiß er auch, früher oder später wie Freiwild abknallen würde. Der hat es faustdick hinter den Ohren. Er denkt nur daran, sich die Taschen mit Geld zu füllen. Bei der erstbesten Gelegenheit würde er, ohne mit der Wimper zu zucken, diese Dumpfbacken im Stich lassen, die ihm blindlings in den eigenen Untergang folgen. So war das hier schon immer. Ich kenne nicht wenige Wegelagerer, die sich, nachdem sie den Busch unsicher gemacht haben und in die Annalen des Dschungels eingegangen sind, ohne Vorwarnung abgesetzt haben. Was glaubst du wohl, wo die heute stecken? In Kenia, im Tschad oder anderen fried­lichen Gefilden, wo niemand sie kennt und wo sie eine ruhige Kugel schieben und ihre Moneten gewinnbringend anlegen können. Hier und da werden sie ein bisschen Schmiergeld abdrücken, sich neue Ausweispapiere und vermutlich auch ein jungfräuliches Strafregister gönnen, denn hierzulande ist ja alles käuflich, sogar die Götter und die Schutzpatrone, und dann fangen sie ein neues Leben an, das so ehrenwert ist wie das Leben eines heiligen Marabut.«
    Bruno zieht seine Hand zurück; er hat wohl die Anspannung meiner Muskeln unter seinem Griff gespürt.
    Â»Der Handel mit Geiseln ist in Afrika zu einem florierenden Geschäft geworden«, sagt er bedauernd. »Früher bin ich sorglos durch ganz Afrika gestromert, von Mali bis nach Tansania. Ganz gleich, wohin es mich verschlug, ich brauchte nur an die erstbeste Tür zu klopfen, und schon bot man mir eine Mahlzeit und ein Nachtlager an, egal, ob es ein Steinhaus oder eine Strohhütte war. Das war eine gesegnete Zeit. Doch nachdem man den Kidnappern die ersten Dollars überwiesen hat, haben die Schuster ihre Leisten an den Nagel gehängt und die Träger die Hausfrauen mitsamt ihren Körben stehengelassen, und heute meint jeder Hungerleider, er habe das große Los gezogen, sobald ein Ausländer seinen Weg kreuzt. Die Regierungen hätten den Erpressungsversuchen der Geiselnehmer nie nachgeben dürfen. Am Anfang gab es nur die Dschihadisten, und die entführten gezielt den ­einen oder anderen Entwicklungshelfer. Aber heute darf der letzte Strolch auf Geiseljagd gehen: Strafentlassene, Arbeitslose, indoktrinierte Kinder, die von sonst woher kommen, um sich ihr Visum fürs Paradies zu verdienen … Es gibt unendlich viele Gruppen, die einen operieren in Anbindung an die islamistischen Schabab-Milizen, die anderen auf eigene Rechnung, und kein Mensch weiß mehr, mit welchem Teufel er sich verbünden soll.«
    Ich bitte Bruno, damit aufzuhören, und ziehe mich auf meine Matte zurück.
    Abends schieben die Wachen ein Gitter vor unsere Kerkertür, das sie mit Vorhängeschlössern sichern. Dieses Gefühl des Eingesperrtseins mischt unter den süßlichen Mief, der im Raum herrscht, noch einen Schuss Depression. Ich stelle mich ans Fenster, ein simples, mit dicken Eisenstäben bewehrtes

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