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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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aufbäumenden Stolzes amüsiert die Augenbrauen hoch, kommt mit seinem Gesicht ganz nahe an mich heran und bläst mir seinen alkoholschwangeren Atem ins Gesicht.
    Â»Was? Willst du mich etwa schlagen …? Na schön, nur los, zeig mir, was du draufhast, du Memme!«
    Als er sieht, dass ich seinem Blick standhalte, stößt er mich mit einer Hand zurück, ergreift das Gitter, hebt es mit einer fließenden Bewegung hoch und hängt es an den in die Türöffnung zementierten Eisenhaken.
    Â»Wow, was für eine Kraft!«, spottet Bruno.
    Â»Tja«, erwidert der Koloss, während er die Vorhängeschlösser anbringt, »so ist das Leben. Die einen haben die Knarren, die anderen schauen in die Röhre.«
    Â»Wie lange noch, Joma, wie lange noch?«
    Â»Kommt drauf an, wie viel Schneid ihr habt, falls ihr überhaupt wisst, was das ist«, antwortet der Koloss. »Wollt ihr zum Kampf gegen die Götter antreten«, beginnt er zu deklamieren, »so tretet an zu eurem eigenen Untergang.«
    Â»Sophokles?«, höhnt der Franzose.
    Â»Falsch …«
    Â»Shakespeare?«
    Â»Warum muss es unbedingt ein Weißer sein?«
    Â»Ich wäre versucht, auf Scheich Anta Diop zu tippen, aber der war kein Dichter.«
    Â»Baba-Sy«, verkündet der Koloss voller Stolz.
    Â»Wer soll das denn sein? Von dem habe ich noch nie gehört.«
    Joma zuckt zusammen. Er bringt das letzte Vorhängeschloss an und geht zu seinen Männern, die wild durcheinanderlaufen. Befehle erschallen, der Motor des Motorradgespanns heult auf, die Piraten verschwinden in ihren Unterkünften und tauchen mit Waffen und Gepäck wieder auf. Hauptmann Gerima erscheint mit hervorquellendem Wanst auf der Schwelle des Kommandopostens, den US-Waffengürtel lose um den Hals gehängt. In seinen Augen funkelt ein widerlicher Triumph. Die Hände in die Hüften gestemmt, beobachtet er einen Teil seines Trupps, der gerade auf die Ladefläche eines unter einem Schutzdach stationierten Pick-ups steigt. Da taucht der Boss Moussa auf, er trägt eine maßgeschneiderte Fallschirmspringeruniform und frisch gewichste Stiefel, sein Käppi sitzt schrägt über der Schläfe. Er salutiert vor dem Hauptmann, der die Ehrenbezeugungen leutselig erwidert. Die beiden Kumpane tun ein paar Schritte zusammen bis zum Brunnen, wobei sie sich mit gedämpfter Stimme beraten, dann kehren sie um; Moussa schlägt die Hacken zusammen, verabschiedet sich von seinem Vorgesetzten und eilt zu den Männern, die sich auf dem Pick-up drängen.
    Â»Ob sie zu einem Beutezug aufbrechen?«, mutmaße ich.
    Â»Ich glaube nicht«, entgegnet Bruno. »Eigentlich müssten sie uns dann ja nicht wegschließen.«
    Der Pick-up vollführt ein Wendemanöver und rast auf die Krankenstation zu. Durch die Gittertür hindurch kann unser Blick ihm nicht folgen. Ich stelle mich an unseren Ausguck, der auf das Tal hinausgeht, und warte, ob sich nicht irgendein Hinweis darauf ergibt, was da los ist. Zehn Minuten später sehe ich, wie das Motorradgespann den Konvoi anführt. Als der Pick-up auf der anderen Seite des Befestigungswalls auftaucht, klopft mir das Herz bis zum Hals. Denn inmitten der dichtgedrängten Piraten erkenne ich Hans, der mit gefesselten Händen auf der Ladefläche liegt.
    Mir zieht es fast den Boden unter den Füßen weg.
    Der Abtransport von Hans hat Bruno und mich regelrecht in Schockstarre versetzt. Wir hatten zwar damit gerechnet, dass dieser Moment früher oder später kommen würde, aber jetzt, wo es passiert ist, sind wir wie betäubt. Wir sind so bestürzt, dass wir keine Worte finden, uns gegenseitig zu trösten. Bruno hat sich unter sein Moskitonetz verkrochen, und ich bin derart vor den Kopf geschlagen, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann.
    Die Sonne ist noch nicht untergegangen, da brechen zwei Wachen mit entsicherter Waffe in unsere meditative Stille ein. Es kommt nicht oft vor, dass man uns das Essen mit dem Gewehr im Anschlag serviert. Blackmoon stellt ein Tablett vor mir ab, auf dem die Suppe im Blechteller längst geronnen ist. Er tritt mir mit Absicht auf die Zehen, um meine Aufmerksamkeit zu wecken, dann deutet er mit den Augen eindringlich auf ein Stück Brot, in dem offenbar etwas für mich steckt.
    Die Piraten ziehen sich zurück und sichern das Gitter wieder mit Vorhängeschlössern. Ich höre ihre Schritte über den

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