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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Hof schlurfen, sich dann in den Geräuschen des Lagers verlieren. Ich beuge mich über das Brot und zerreiße es zwischen den Fingern; im weichen Laib ist ein Zettel versteckt. Ich ziehe ihn heraus, falte ihn vorsichtig auseinander und erkenne die hektische Schrift von Hans.
    Seine Botschaft ist kurz. Ein hastig mit Bleistift hingekritzelter Zweizeiler:
    Halte durch.
    Jeder Tag ist ein Wunder .

5.
    Wider Erwarten ist es Bruno , dessen Nerven als Erste schlappmachen. Sein Schutzpanzer, gegossen aus vier Jahrzehnten Afrika-Erfahrung, zersplittert in winzigste Stücke. Er ist völlig am Ende. Mit einem Fußtritt befördert er sein Essen an die Wand und wirft sich gegen das Kerkergitter, an dem er wie von Sinnen zu rütteln beginnt, bevor er auf seinem Lumpenlager zusammensackt. Als die Geräusche draußen immer weniger werden, erhebt er sich wieder und tigert mit rasselndem Atem durch die Zelle wie ein wildes Tier, das nach einer Öffnung im Käfig sucht.
    Am Abend zuvor hatten die Piraten ein Lagerfeuer entfacht und waren zu den dröhnenden Klängen eines Radiorekorders umhergetanzt gleich schwarzen Göttern in Trance. Bruno, der ihnen zusah, wie sie sich lachend verrenkten, meinte noch, sie seien einfach genial und einsame Spitze. »Nicht auszudenken, was für einen Bombenerfolg die in Paris hätten!«, hatte er geschwärmt, wie ein Groupie, das angesichts seines Idols in kreischende Verzückung gerät. Ich hatte ihn noch gefragt, was unsere Entführer da denn feierten, und er hatte erwidert: »Vermutlich das Ende des Bürgerkriegs.« Tatsächlich aber war es die Abtretung der Verwertungsrechte an Hans Mackenroth, die sie zu ihrem wilden Freudentanz hingerissen hatte!
    Die Sonne steht schon eine geraume Weile am Himmel, bevor Bruno sich aufrafft, ein Lebenszeichen von sich zu geben. Er starrt aufs Gitter, als wollte er es kraft seines Blicks zum Zerspringen bringen, stützt sich dann am Boden ab, um sich hochzurappeln, schleppt sich mit wackligen Knien zum Ausgang und umklammert haltsuchend das Gitter.
    Â»He, Gerima!«, ruft er, »können Sie mich hören? Kommen Sie aus Ihrem Loch, Gerima, Sie Mistkäfer …«
    Ich laufe zu ihm hin, will ihn beruhigen, doch er stößt mich zurück und brüllt weiter:
    Â»Worauf warten Sie noch, bis Sie uns auf dem Schwarzmarkt verhökern, Sie Dreckskerl? Das ist doch Ihre Spezialität, oder? Sie haben sich doch ganz geschickt angestellt, als Sie sich aus den Lagerbeständen Ihrer Einheit bedient haben. Was unterscheidet denn eine Geisel von einer Dosenration …? Gerima … Hören Sie mich?«
    Ich lege ihm die Hand auf den Mund, um seine Schreie zu ersticken, aber er beißt mich und brüllt, noch immer ans Gitter geklammert, lauthals seine Wut und seinen Frust in die Welt. Eine Wache gibt ihm mit dem Gewehrkolben eins auf die Finger, damit er vom Gitter ablässt, aber Bruno merkt es nicht einmal. Er überschüttet den Hauptmann so lange mit Beschimpfungen, bis dieser irgendwann, sich mit dem Taschentuch den Mund abwischend, in der Eingangstür des Kommandopostens auftaucht.
    Â»Hach, da sind Sie ja endlich!«, tobt Bruno wieder los. »Ich dachte schon, Sie halten Winterschlaf … Ich erteile Ihnen hiermit den Befehl, uns auf der Stelle freizulassen. Die Farce hat lange genug gedauert. Sie werden uns jetzt laufen lassen, Sie Idiot. Mit welchem Recht halten Sie uns in diesem Loch gefangen?«
    Der Hauptmann gibt zwei Wachen ein Zeichen, den Franzosen herzuholen. Ich will Bruno begleiten, doch man stößt mich rüde in die Zelle zurück und sperrt das Gitter wieder zu.
    Die beiden Wachen zwingen den Franzosen vor dem Of­fizier in die Knie. Bruno steht sofort wieder auf und fordert den Hauptmann heraus:
    Â»Für wen halten Sie sich? Glauben Sie etwa, nur weil Sie sich mit einem Trupp Geistesgestörter umgeben haben, können Sie Ihr Gesetz der ganzen Welt aufdrängen? Sie sind doch nur ein gewöhnlicher Wegelagerer, Gerima, ein dreckiger Deserteur, der in sein eigenes Verderben rennt.«
    Der Hauptmann verpasst Bruno eine Ohrfeige.
    Â»Gar nicht so schlecht für den Anfang«, provoziert ihn der Franzose.
    Schon folgt die zweite Ohrfeige, stärker als die erste.
    Â»Nur nicht so zaghaft, Herr Hauptmann.«
    Die dritte Ohrfeige.
    Bruno taumelt, halb betäubt. Doch schon fasst er sich wieder, legt die Hände trichterförmig um seinen

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