Die Landkarte der Finsternis
furchtbaren Angriffsschrei aus, wirft Bruno zu Boden und beginnt, wie wild mit seinem mit Nägeln besetzten Koppel auf ihn einzuschlagen. Der Franzose hält sich schützend die Arme vors Gesicht und zieht die Knie an die Brust. Aber der Hauptmann schlägt wie ein Besessener auf ihn ein, aus Leibeskräften schlägt er, schlägt und schlägt und findet gar kein Ende mehr, bis er das letzte Röcheln, das allerletzte Stöhnen des Franzosen erstickt hat, der längst auÃerstande ist, aufzustehen oder sich auch nur hinter seinen misshandelten GliedmaÃen zu verstecken. Immer seltener werden die Zuckungen des Geschundenen, immer schwächer, bis sie vollends ersterben. Doch der Hauptmann schlägt immer noch weiter auf den völlig verrenkten Körper ein, als wollte er ihn gänzlich zermalmen. Für mich ist es das erste Mal in meinem Leben, dass ich Zeuge einer derart bestialischen Gewaltszene werde. Ich bin am Boden zerstört, kann es nicht fassen, weigere mich zu begreifen, wie man derart blindwütig auf jemanden einprügeln kann, der wehrlos vor einem liegt, und dann noch meinen, man sei ein Mensch.
Bruno verbringt zwei Nächte auf der Krankenstation.
Dann wird er in die Zelle zurückgeschleppt. Blackmoon hält ihn an den Schultern, ein anderer an der Taille. Joma folgt ihnen nach, im Gürtel seinen Revolver. Sie deponieren den Franzosen mit äuÃerster Vorsicht auf seinem Lumpenlager. Bruno verlangt zu trinken; man hebt seinen Kopf an und flöÃt ihm etwas Wasser aus seiner Feldflasche ein. Die Flüssigkeit rinnt über seine aufgesprungenen Lippen, tropft auf sein Hemd. Nach drei Zügen verschluckt er sich und fällt erschöpft auf seine Matte zurück.
Nachdem die beiden Träger ihm noch die Schuhe ausgezogen haben, schicken sie sich an, die Zelle zu verlassen.
»Vielen Dank, Blackmoon!«, sage ich noch rasch.
So schlagartig, wie er die Kiefer zusammenpresst, wird mir klar, dass ich einen schweren Fauxpas begangen habe. Blackmoon wirft mir einen Blick zu, in dem sich Angst und Ãrger mischen. Ich wollte ihm nur für die Nachricht von Hans danken. Vom drängenden Bedürfnis getrieben, zu den normalen Umgangsformen von früher zurückzufinden, um mich als Mensch unter Menschen zu fühlen, habe ich den falschen Moment gewählt, um meiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen. Meine Befürchtung verschlimmert sich, als ich merke, dass auch Joma zusammengezuckt ist.
Mir fällt ein Stein vom Herzen, als sich herausstellt, dass es nicht das »Vielen Dank« ist, das dem Koloss aufgestoÃen ist, sondern das »Blackmoon«.
»Wie hat er dich genannt?«, grunzt Joma seinen Boy an.
Blackmoon schluckt.
Der Koloss schiebt ihn vor sich her:
»Was hast du diesem Mehlgesicht denn jetzt schon wieder erzählt?«
»Keine Ahnung, was er meint«, quetscht Blackmoon kleinlaut hervor.
»Was du nicht sagst. Kann er jetzt schon deine Gedanken lesen? Du hast wirklich eine aalglatte Zunge, Chaolo. Sieh nur zu, dass du nicht mal selber darauf ausrutschst â¦Â«
Die drei Entführer ziehen ab, ohne die Gefängnistür hinter sich zu schlieÃen.
Ich nähere mich Bruno.
Er ist komplett verunstaltet. Ein ungeschlachter Verband ist turbanartig um seinen Kopf gewickelt. Sein Gesicht ist mit Beulen übersät, am Brauenbogen hat eine üble Wunde sein Auge zuschwellen lassen, und aus seinen Lippen dringt hier und da noch Blut ⦠Er stöhnt, als ich ihn mit den Fingerspitzen sachte berühre.
»Was ist nur in dich gefahren, diesen Unmenschen so zu provozieren?«, tadele ich ihn.
Er lächelt mir trotz aller Kerben und Schmisse zu. Seine leuchtenden Pupillen scheinen sich über mich zu amüsieren.
»Hilf mir mal beim Ausziehen«, sagt er, »mein Körper brennt noch wie Feuer.«
»Du Idiot!«
Als ich ihm das Hemd über den Kopf ziehe, ist es, als risse ich ihm die Haut vom Leib. Obwohl er die Zähne zusammenbeiÃt, stöhnt er vor Schmerz. Seine Brust ist mit Spuren von Stockschlägen und blauvioletten Schrammen übersät. Sein Rücken weist die gleichen violetten Abdrücke auf, mit besonders dicken Blutergüssen an Schultern und Hüften. Ich muss ihm Zeit lassen, wieder zu Puste zu kommen, bevor ich ihm aus der Hose helfe. An den Knien ist die Haut völlig abgeschabt, und die Beine sehen aus, als hätte sie jemand mit dem Hackmesser bearbeitet. Die linke
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