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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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kleineren Jobs und gepanschtem Bier über Wasser hielt und, da er westlichen Medien seine Dienste anbot, bisweilen im Rahmen einer Reportage oder einer journalistischen Recherche einen Abstecher nach ­Somalia unternahm, bis zu dem Tag, als er in der Nähe Mogadischus von Wegelagerern gekidnappt wurde – zusammen mit ­jenem Starreporter des italienischen Fernsehens, dessen Dolmetscher und Führer er war.
    Â»Wie kannst du diesen Leuten noch Vertrauen entgegenbringen, nach allem, was sie dir angetan haben?«, frage ich ihn.
    Bruno legt seinen linken Fuß aufs rechte Knie, macht es sich inmitten seiner Stofflappen bequem und mustert nachdenklich die dürren Eisenträger. Lichtstrahlen fallen durch die Ritzen im Blech und sprühen goldene Taler auf den sandigen Boden. Eine erdfarbene Eidechse hockt reglos an der Wand, kaum wahrnehmbar inmitten des Lehmstrohs. Über ihrem Kopf wehen die Fetzen eines großen Spinnennetzes leise im Luftzug, das Ganze ähnelt einem verfallenen Dachgarten. In einer Ecke unweit des Behälters, der uns als Pissoir dient, liegen lautlos zwei Skarabäen im Clinch … und dann wären da noch unsere hautnahen Begleiter, die Mücken, die nach einer Lücke im Moskitonetz suchen!
    Â»Sie haben mir gar nichts angetan, Kurt. Ich wollte einer von ihnen sein und habe bei ihren Lumpereien aus freien Stücken mitgemacht, ohne jedes Selbstmitleid. Meine Verehrung für Afrika ist nachgerade religiöser Natur. Ich liebe seine Höhen und Tiefen, seine sinnlosen Leidenswege und seine verstiegenen Träume, sein Elend, dessen Glanz nur dem der griechischen Tragödie gleichkommt, und seine kärgliche Genügsamkeit, die fast schon eine Doktrin darstellt, ich liebe seine maßlosen Ergüsse und seinen Fatalismus. Ich liebe einfach alles an Afrika, von den Enttäuschungen, die meine Wege säumen, bis zu den Luftspiegelungen, die in der Wüste die Schiffbrüchigen foppen. Afrika steht für eine ganz eigene Philosophie der Erlösung. Ich habe bei den ›Verdammten dieser Erde‹«, fährt er fort, während er mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft malt, »glückliche Augenblicke verbracht, und ich habe die Schale ihrer Ängste und Nöte bis zur Neige geleert. Von diesen Leuten habe ich vieles über mich selbst erfahren, das mir in Paris oder überhaupt im Westen für immer verborgen geblieben wäre. Ich bin in Bordeaux geboren, hübsch als Geburtsort, aber sterben will ich in Afrika, ganz egal, ob ich in einem Massengrab oder auf einem Trampelpfad durch den Dschungel ende, ohne Begräbnis und ohne Zeremonie.«
    Â»Seltsam«, bemerke ich.
    Â»Ich erblicke dort, wo andere einen Kontinent sehen, eben ein Land, und in diesem Land, da kann ich ganz ich selber sein. Sobald diese Pirateriegeschichte hier vorüber ist, werde ich mich wieder auf die Suche nach dem Siegel der Sahara begeben und sämtliche Freuden und Mühen nachholen, die mir während meiner Haftzeit entgangen sind.«
    Â»Da wünsche ich dir aber viel Mut, Bruno.«
    Â»Mut, mein lieber Kurt, ist, auf eine simple Formel gebracht, nur der Glaube an sich selbst.«
    Und schon ist er in weite Ferne entschwebt, hat die Augen geschlossen, die Finger über der Brust verschränkt. Das ist ganz Bruno: Wenn er das Loblied Afrikas singt, wird er zum Dichter und Guru zugleich, ein grenzenloser Überschwang überkommt ihn, und unversehens ist sein Geist weit fort; im Gefängnis aber, in dem jäh tiefe Stille herrscht, bleibt nur sein hilfloser Körper zurück, so steif und reglos wie der eines Toten.
    Drei Tage später kommt Joma aus dem Büro des Hauptmanns gestürzt und gibt lautstark Befehl, Moussa, den Boss, herbeizuholen, dann entdeckt er Bruno und mich im Gefängnisvorhof, und schon blafft er uns an:
    Â»He, ihr da, ab in die Koje, aber dalli!«
    Â»Dafür ist es noch viel zu früh!«, protestiert Bruno.
    Â»Es ist nie zu früh! Tut, was ich sage!«
    Â»Tut, was ich sage!«, äfft der Franzose ihn mit gespitzten Lippen nach. »Wir sind doch nicht deine Zinnsoldaten!«
    Joma verpasst dem Zaun um unseren Vorhof einen Tritt und stürzt sich auf uns. Bevor ich mich auch nur ansatzweise erheben kann, hat er mich schon am Hals gepackt und unsanft in die Zelle befördert. Ich rappele mich hoch und schnelle herum, um ihm die Stirn zu bieten. Er zieht angesichts meines sich

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