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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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aus welcher Ecke dich der nächste Blitz trifft … Joma glaubt weder an Gott noch an sonst wen. Er weiß, dass er sich felsenfest auf mich verlassen kann. Wenn er von mir verlangte, für ihn zu sterben, dann würde ich das glatt für ihn tun … Und trotzdem traut er mir nicht über den Weg.«
    Â»Und hast du schon mal jemanden für ihn über die Klinge springen lassen?«
    Blackmoon verkrampft sich. Das Zucken, das eben noch über seine Lippen irrlichterte, zieht ihm jäh die Mundwinkel nach unten.
    Â»Bist du sicher, dass du früher kein Bulle warst?«, fragt er Bruno.
    Â»Ganz sicher.«
    Â»Dann erklär mir mal, woher es kommt, dass deine Fragen mich ankotzen!«
    Verärgert steht er auf, mustert uns verächtlich und murrt:
    Â»Sind doch alle gleich! Kaum bist du mal ein bisschen nett zu ihnen, versuchen sie, dich einzuwickeln.«
    Und schon ist er hinter dem Befestigungswall verschwunden und kickt wütend Steine durch die Gegend.
    Â»Hab ich’s dir doch gleich gesagt, dass der Junge einen labilen Charakter hat«, gebe ich Bruno zu bedenken, während wir zu unseren Matten zurückkehren. »Jetzt hast du ihn verärgert, so schnell wird er uns das nicht verzeihen.«
    Â»Aber nicht doch«, beruhigt mich der Franzose, während er sich auf sein Schlaflager wirft. »Der Knabe ist ernsthaft verhaltensgestört, das gebe ich gerne zu, aber von all den Halunken, die uns in diesem Rattenloch festhalten, ist er noch der Harmloseste und vermutlich der Einzige, der sich noch einen Rest von Seele bewahrt hat. Ich beobachte ihn schon seit Wochen. Er gibt sich gern ein bisschen locker, bleibt aber trotzdem auf der Hut, was den Umgang mit ihm nicht eben leichter macht … Er ist aber nicht so grimmig, wie er tut … Das Heilpulver und die Salbe habe ich von ihm; er hat sie mir unauffällig zugesteckt. Eine solche Geste unter diesen Umständen, das kann einen schon fast wieder mit der Menschheit versöhnen …«
    Er rollt sich einen Lappen als Kopfkissen zurecht und schiebt ihn sich unter den Nacken.
    Seine demonstrative Ruhe regt mich auf. Ich beginne ernsthaft, an seiner »großen Kenntnis« der afrikanischen Mentalität zu zweifeln.
    Â»Meiner Meinung nach sollten wir diesem Jungen gegenüber zurückhaltender sein.«
    Â»Und warum sollten wir das?«, fragt er in aller Gelassenheit.
    Â»Diese Individuen sind unberechenbar.«
    Er lacht kurz auf und macht eine wegwerfende Handbewegung:
    Â»Da kann man mal sehen, dass du Afrika völlig verkennst.«
    Bruno zieht dieses Totschlagargument jedes Mal dann aus der Tasche, wenn ich sein Verhalten oder seine Theorien über den Facettenreichtum der Menschen und Dinge kritisiere. Für ihn bin ich nichts weiter als ein europäischer Spießbürger, der in seiner Blase lebt und den Dingen, die die Welt bewegen, nicht mehr Aufmerksamkeit zollt als ein Goldfisch in seinem Glas; ein Mediziner von der Stange mit manikürten Fingernägeln, der vor lauter Selbstverliebtheit beinahe in den Spiegel kriecht und dort, wo es andere Mentalitäten und Wahrheiten zu erforschen gilt, nichts als oberflächliche Exotik sieht. Einmal hat er mir sogar offen seine Verachtung gegenüber meiner kulturellen Borniertheit und mangelnden Wissbegier für alles bekundet, was jenseits meiner Nasenspitze liege, und mir eingeschärft, dass ein Mensch, der nicht mindestens ein Volkslied pro Land und einen Heiligen pro Religion für sich entdeckt, nur halb gelebt hat. »Der Afrikaner«, hat er mir eines Abends zu verstehen gegeben, »ist ein Code. Dechiffrier ihn, und dir wird sich eine Welt eröffnen.«
    Bruno hat mir seine persönliche Geschichte mit Afrika erzählt. Eigentlich tut er nichts anderes, seit ich die Zelle mit ihm teile. Er war noch sehr jung, als er sich in diesen Kontinent verliebte, angeregt durch die Lektüre von Das Siegel der Sahara , ­einem Roman über die Tuareg aus der Feder eines gewissen ­Frison-Roche, den dieser Mitte des vergangenen Jahrhunderts veröffentlicht hat. Fortan stand Bruno im Bann der Sahara und der Völker des Hoggar-Gebirges und hatte bereits Dutzende von Studien über die Sitten und Gebräuche dieser Weltgegend gelesen, bevor er Théodore Monod entdeckte und mit selten kundiger Begeisterung die Bücher dieses französischen Naturwissenschaftlers und eminenten Wüstenforschers verschlang, eines

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