Die Landkarte der Finsternis
Universalgelehrten und Humanisten ohnegleichen, der erst zu Beginn des neuen Millenniums starb. Mit neunzehn hatte Bruno sich zusammen mit einer Gruppe Mitstudenten aus Bordeaux auf die Spuren seines Mentors begeben, auf der Suche nach jener berühmten jahrtausendealten Piste, die, wie Frison-Roche schreibt, einst von König Salomo als Handelsroute in die Königreiche Schwarzafrikas angelegt worden war, jedoch seit Menschengedenken unter den Wanderdünen verschwunden ist oder begraben von Kies und Geröll. Nach kurzer Expedition in die Weiten der Ténéré-Wüste kehrte die Studentengruppe unverrichteter Dinge nach Bordeaux zurück, nur Bruno blieb und wurde halbtot, da total dehydriert, von einer Peul-Familie aufgelesen. Er hielt sich ein paar Wochen in einem namenlosen Weiler auf, dann setzte er seine Erkundungen fort. Er kehrte nie mehr nach Frankreich zurück. In der Wüste war er in seinem Element, spielte hier ein bisschen Ethnologe, dort ein bisschen Archäologe, bevor er sich mit Leib und Seele den Wüstendurchquerungen der Karawanenführer und Hirtennomaden anschloss, die ihn in die ungeheuerlichsten afrikanischen Eigenarten einweihten. Seine Forschungsreisen dauerten fünfzehn atemberaubende Jahre und lieÃen ihn den Niger und Obervolta entdecken, von wo ihn ein blutiger Staatsstreich vertrieb, sodann Ghana und Mali, den Senegal und Mauretanien; dann kehrte er nach Obervolta zurück, das nunmehr Burkina Faso hieÃ, bis ihn ein neuerlicher Staatsstreich wieder in die Flucht schlug, woraufhin er sich in Aguelhok im Norden Malis niederlieÃ, wo er in einer Schulklasse unter freiem Himmel erstaunlich gelehrigen Schülern Französisch beibrachte. Er kannte sämtliche Stämme der Region, von den Idna und den unauffindbaren Regonatem über die Imghad und die Ifora bis zu den Chamanama, deren Stammestochter er zur Frau nahm, die schöne Aminata, mit der er sich in Gao niederlieÃ, wo er sich als Führer für wissenschaftliche Expeditionen verdingte. Als er eines Abends von einer Exkursion heimkehrte, war Aminata verschwunden. Von den Nachbarn erfuhr er, dass seine Frau von einem ihrer Cousins geraubt worden war. Der Stammesälteste versicherte ihm, weder von der Entführung noch vom Aufenthaltsort des Entführers zu wissen. Bruno machte sich auf die Suche nach seiner Ehefrau, die er zwei Jahre später im Niger wiederfand, in einem Kaff östlich der Stadt Zinder. Seine Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn seine Frau gestand ihm, von ihrem Cousin keineswegs entführt worden, sondern aus Liebe mit ihm zusammen geflohen zu sein. Niedergeschlagen und schwer gedemütigt fehlte Bruno der Mut, nach Mali zurückzukehren. Stattdessen folgte er eines Nachts einem glanzlosen Stern und lieà sich ziellos vom Harmattan, dem Wüstenwind, treiben. Er fasste Fuà in einem Dorf im Tschad, wo er sich um einen Weihrauchladen kümmerte, bis der ausbrechende Bürgerkrieg ihn erneut aus der Bahn warf und er erst nach Kenia, dann nach Tansania flüchtete, bevor er eines Morgens nach einem gewaltigen Rausch in Âeiner Bar in Zimbabwe aufwachte, wo allabendlich eine Tänzerin namens Souad mit ihrem höllischen Hüftschwung einheizte. Souad hatte Aminatas magische Augen, ihren zimtfarbenen Teint und ihre sinnenbetörenden Umarmungen. Er liebte sie voller Inbrunst und bat sie, ihm in die Tiefen unerforschter Dschungelwälder zu folgen, wo er smaragdene Mausoleen und Traumpyramiden für sie errichten wollte, Tanzböden mit Paradiesblumen auslegen und Scheinwerferlicht von der Sonne abzapfen. Sie kamen nicht weiter als bis zum nächsten Berg, wo die Menschen in viehstallartigen Verschlägen hausten und an synthetischen Drogen zugrunde gingen, wenn sie nicht vorher verhungerten. Die Desillusionierung lieà nicht lange auf sich warten, denn sie liefen einem abstrusen Idyll hinterher, und Souad, die schnell merkte, dass Glück ohne Geld nicht überleben kann, zögerte keine Sekunde, ihren charmanten, aber bankrotten Liebhaber zu verlassen, als ihr der Inhaber eines Nachtlokals das Blaue vom Himmel versprach, wenn sie ihm nur auf die Kapverdischen Inseln folgte. Verrückt vor Kummer und Hunger, nahm Bruno seinen Pilgerstab wieder auf und vertraute sein Geschick den Zufallslaunen trostloser Wege an, auf denen es ihn sechs Jahre lang von Landstrich zu Landstrich trieb. Am Ende verschlug es ihn nach Dschibuti, wo er sich mit
Weitere Kostenlose Bücher