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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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bin nur der Träger meines Gewehrs und wüsste nicht einmal zu sagen, wer hier wen dirigiert.«
    Und daraufhin zieht er ab. Zwei seiner Schergen kommen in der gleißenden Sonne mit umgehängten Gewehren angerannt und geleiten ihn zu seinem »Büro« zurück. Joma, der inmitten von Ruinentrümmern steht und gerade dabei ist, eine Ziege zu häuten, unterbricht sich und blickt dem Hauptmann und seiner Eskorte nach, wie sie den Hof überqueren. Als die drei Männer im Kommandoposten verschwunden sind, lässt er sich auf ­einem Mauerrest nieder und vertreibt mit einem Fußtritt einen bis auf das Skelett abgemagerten Hund, der um den Tierkadaver herumstreicht.
    Bruno in seiner Ecke bewegt sich.
    Â»Ist er weg?«
    Â»Ja.«
    Er schiebt sein Moskitonetz zur Seite und setzt sich auf.
    Â»Was für ein Schauspieler! Ich hoffe, du hast die Nummer, die er da vor dir abgezogen hat, nicht für bare Münze genommen, Kurt. Dieser Knabe ist ein Krokodil, und ein Krokodil lässt sich nicht dadurch erweichen, dass man ihm seine Tränen abwischt. Dieser Hurensohn würde am Ende noch den Teufel mit seinem eigenen Bart beweihräuchern. Er meint nicht ein Wort ernst von dem, was er sagt. Er hat nur Schiss. Die Sache mit dem Internationalen Gerichtshof, mit der ich ihm gekommen bin, macht ihm zu schaffen.«
    Ich antworte nicht. Ich muss gestehen, der Hauptmann hat mich verunsichert. Das Elend, das er verkörpert, und seine unerwartete Kehrtwendung haben ihn für mich irgendwie greifbarer gemacht.
    Abends bekommen wir aufgebesserte Alltagskost: Frisches Fleisch, Hirsefladen und Knollenragout, das unser Hunger in den Rang eines Festmahls erhebt.
    Â»Siehst du wohl, Kurt?«, bemerkt Bruno kauend zu mir. »Kein Tyrann steht über den Gesetzen. Man muss ihn nur ab und zu daran erinnern.«
    6.
    Der Tag bricht an. Ich weiß, dass er mir nichts bringen wird, als was er mir schon genommen hat. Ich muss keinen Blick durch das Gitterloch werfen, um zu erraten, wie spät es ist. Hier, in diesem Vorzimmer des Nervenzusammenbruchs, hat die Zeit keine Bedeutung. Sie ist nichts als Helligkeit, die auf Dunkelheit folgt, Helligkeit ohne Kraft, die das Bewusstsein nur am Rande berührt, einem flüchtigen Aufblitzen gleich, das sich kaum verorten lässt. Der Tag bricht an, und was dann? Für mich ist er bloß ein Fremder, der seiner Wege zieht, ohne mich auch nur anzusehen. Früher , da hatte jeder Tag seine Bestimmung, seinen Sinn. Er war die Arbeit, die keinen Aufschub duldete, oder die Bahn, die auf mich wartete. Instinktiv erkannte ich den Morgen wieder. Wie von selbst tastete meine Hand nach dem Wecker, um den Alarm abzuschalten. Auf die Minute genau. Ich hatte ein eingebautes Uhrwerk im Kopf; der Wecker war nur für den Notfall da. Obwohl ich noch schläfrig war, spürte ich die heraufziehende Morgendämmerung in der winterlichen Dunkelheit wie eine vertraute Gegenwart. Ich stellte mir vor, wie sie an meinem Bett stand, so konkret, dass mir schien, ich könne ihre Atemzüge hören. Das war früher , zu jener Zeit, als jeder Tag eine Aufforderung war: Patienten zu untersuchen, Ängste zu besänftigen, Aufgaben zu erledigen, Projekte zu entwerfen, Perspektiven zu festigen. Ich hatte meine Position und meine Reputation, meine Termine und meine mit langem Vorlauf geplanten Arbeitsessen, meine schicke Armbanduhr und meinen schönen Bürokalender. Ich hatte ein Mobiltelefon mit Anklopffunktion, um ständig erreichbar zu sein, und einen Anrufbeantworter, um nichts von dem, was mich betreffen könnte, zu verpassen. Ich war bis ins Letzte durchgetaktet, und alles drehte sich um mich. Jeden Morgen aufs Neue erwachte ich inmitten einer Fülle von Annehmlichkeiten. Wenn ich ins Bad kam, dampfte es noch von Jessicas Dusche, und ihre Wärme benebelte mich. Die Dusche war mein erster Schritt in den Tag, der vorgezeichnet vor mir lag. In der Küche war Jessica schon fast mit Frühstücken fertig. Sie schenkte mir ihr strahlendes Lächeln, das sich seit unserer ersten Begegnung nie verändert hat und das ich mit gleichbleibendem Entzücken entgegennahm, galt es doch mir, mir allein. Mit dem Butterbrot in der einen, der Kaffeetasse in der anderen Hand hielt sie mir ihre Lippen hin, auf die ich einen flüchtigen Kuss platzierte, wie es unter glücklichen Ehegatten so üblich ist. Ich liebe dich , sagte sie dann und lehnte sich schwungvoll im

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