Die Landkarte der Finsternis
regloses Moskitonetz. Er bewegt sich kaum. Die Fasern im Strohlehm, die Spinnennetze, in denen tote Mücken baumeln, die Eidechse, die sich für einen Wandschmuck hält, die Fliegen, die keine Ruhe geben, nichts weckt seine Aufmerksamkeit. Bruno verweigert sich. Bis in seine Wunden hinein. Er stöhnt nicht einmal mehr. Ich rufe seinen Namen, er hört mich nicht. Ich rede mit ihm, er antwortet nicht. Du bist wie der Goldfisch im Aquarium, hatte er mir vorgeworfen. Der nichts an sich heranlässt. AuÃer seinem Taucherhelm aus Blei und einer Schatztruhe, in der nichts als Luftblasen sind. Und jetzt? SchlieÃt er sich selber in einer Luftblase ein. Bruno ist abwesend, sein Blick völlig weggetreten, sein Gesicht ein Wachsfleck inmitten seines Landstreicherbarts. Gestern Abend hat er in seine Suppe gespuckt. Aus Trotz. Oder Ekel. Wer weiÃ? Kurz danach hatte er das anscheinend vergessen und seinen Teller gründlich leer geputzt. Ich hielt es für das Ende seiner Krise, aber es war nur der äuÃerste Randbezirk. Sobald drauÃen ein Fluch oder Befehl ertönt, taucht Bruno wieder ab. Mir tut es leid um ihn, aber auch um mich. Wir sind zu zweit in dieser Zelle, doch uns trennt ein Ozean. Ich habe ihm immer gern zugehört, wenn er die Geschichten aus seinem abenteuerlichen Wanderleben als umherstreifender Eremit zum Besten gab, das so reich an kuriosen Begebenheiten und prophetischen Fehlschlägen war ⦠Woran er jetzt wohl denken mag? An das verborgene Siegel der Sahara ? An Aminata? Daran, sich töten zu lassen, damit alles ein Ende hat? Wenn einer schwarz sieht, ist er nur noch auf eine einzige Sache fixiert, und bei Bruno, der wie ein geprügelter Hund dreinschaut, sind alle Hypothesen erlaubt. Sich selbst aufzugeben, das macht einen genauso fertig wie verbohrte Starrköpfigkeit. Brunos Glaube war unbeirrbar â heute schwört er ihm ab und weià nicht, wie es noch weitergehen soll, weil er überall Fallen wittert; doch diesmal lauert die Gefahr nicht in der AuÃenwelt, sondern in Bruno selbst.
Auf dem Stützpunkt herrscht nervöse Anspannung. Wir stehen sie durch wie einen Migräneanfall. Moussa, der Boss, ist vor vier Tagen aufgebrochen, um über das Kopfgeld für Hans zu verhandeln, und seit gestern lässt er nichts mehr von sich hören. Hauptmann Gerima hat wieder seine fürchterlichen Launen und wütet gegen sein Mobilfunkgerät, während er permanent flucht: »Verdammt, wo treibt der Kerl sich herum?« Er ist fuchsteufelswild auf Moussa, der immer regelmäÃig Meldung gegeben hat und plötzlich nicht mehr erreichbar ist. Am Anfang dachte der Hauptmann, es liege am Funknetz, aber es lag nicht am Funknetz. Dann hat er ein paarmal die Batterie gewechselt, bis er merkte, es lag auch nicht an der Batterie. Dann hat er wieder wie wild die Tasten gedrückt und endlos probiert, eine Verbindung zu bekommen; aber niemand meldete sich.
Diese Funkstille macht ihn verrückt. Er versucht es jede halbe Stunde, ohne Erfolg. Am Ende stürzt er wutentbrannt aus seinem Bau, schreit seine Soldaten wegen nichts und wieder nichts an, versetzt dem Staub heftige Stiefeltritte, schwört speichelsprühend, Kleinholz aus dem Mistkerl zu machen, der es wagen sollte, ihn übers Ohr zu hauen. Seine Männer gehen in Deckung. Kaum taucht er im Türrahmen des Kommandopostens auf, machen sie sich schneller unsichtbar als jedes Gespenst. Selbst Joma scheint ein ungutes Gefühl zu beschleichen, als er den Hauptmann wie einen Berserker auf seiner Mütze herumtrampeln sieht. Ich glaube, Brunos Apathie und meine Traurigkeit rühren von den Tobsuchtsanfällen des Hauptmanns her, dem es dämmert, dass seine Pläne aus dem Ruder laufen. Die Dinge entwickeln sich anders als vorgesehen, die steigende Nervosität des Offiziers schürt unsere Ãngste, und die Luft ist zum Schneiden dick. Manchmal, wenn er die Brüllerei des Hauptmanns nicht länger ertragen kann, hält Bruno sich mit beiden Händen die Ohren zu und stürzt zur verriegelten Gefängnistür, um den Offizier anzuflehen, still zu sein, doch über seine Lippen dringt kein Laut.
Als der vierte Tag zu Ende geht, bricht bei Gerima die Panik aus. Er trommelt seine Männer zusammen, erweckt den alten klapprigen Laster, der unter einer Plane vor sich hin gedöst hat, zu neuem Leben, kontrolliert Waffen und Munition seiner Truppe und überträgt Joma bis zu
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