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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Wade weist eine tiefe, eitrige Schnittwunde auf. Der für die Krankenstation zuständige Pirat hat es sich leicht gemacht; er hat Breiumschläge auf die Wunden aufgebracht, ohne sie zuvor zu desinfizieren, und die Quetschungen lediglich mit Mercurochrom betupft.
    Bruno deutet mit dem Kinn auf den Beutel mit dem »Wunderpulver«.
    Â»Streu mir das auf die offenen Wunden … Und dann streich bitte etwas von der Salbe auf meine Augenbraue.«
    Da ich nichts anderes vorzuschlagen habe, tue ich, was er gesagt hat.
    Lächelnd sieht er mir zu, wie ich ihn verarzte; manchmal wird sein Lächeln zur Grimasse, dann kommt es zurück, ein rätselhaftes, absurdes, verstörendes Lächeln.
    Â»Da hat er mir aber eine verdammte Abreibung verpasst«, gluckst er heiser.
    Â»Und was bringt dir das?«
    Â»Ist doch mal eine Abwechslung im alltäglichen Trott, oder?«
    Â»Ich verstehe dich nicht. Du schärfst mir, seit ich hier bin, permanent ein, ruhig und umsichtig zu bleiben, und jetzt bist du es, der seinen kühlen Kopf verliert. Er hätte dich fast umgebracht.«
    Â»Ich bin ausgerastet«, gesteht er. »Das kommt bei den zähesten Typen vor … Hans ist schon die dritte Geisel, die verlegt wird, seit ich hier bin. Da hat es eben ausgesetzt … Ich kann diesen Idioten noch so oft erzählen, dass ich keine gewöhnliche Geisel bin, sondern seit vierzig Jahren Afrikaner, und dass kein Mensch in Frankreich weiß, was aus mir geworden ist, und sich folglich keine Regierung für mich interessiert, diese Blödmänner wollen einfach nicht auf mich hören. Und selbst wenn sich jemand für mich interessieren würde, ich habe ja gar nicht die Absicht, Afrika zu verlassen. Ich bin Afrikaner, ein wandelnder Eremit. Ich habe weder Kind noch Kegel, keine feste Bleibe und kein festes Einkommen, und mein Ausweis ist schon seit Urzeiten nicht mehr gültig … Wer käme denn auf die Idee, ein Vermögen für ein Phantom auszugeben …?«
    Â»Das ist noch lange kein Grund, sich mutwillig in Gefahr zu bringen.«
    Â»Ich bin es so leid«, seufzt er erschöpft, und sein Lächeln weicht einem Ausdruck grenzenlosen Überdrusses. »Ich kann einfach nicht mehr, es steht mir bis hier … Ich will auf meine staubigen Straßen zurück und laufen, ohne festes Ziel laufen, einfach nur laufen, so lange, bis ich ohnmächtig zusammenbreche. Diese Mauern hier machen mich noch blind«, beginnt er mit zittriger Stimme zu jammern. »Sie ersticken mich, machen mich verrückt … Mir fehlt die Weite des Raums und die Luftspiegelungen und die Dromedare, alles fehlt mir. Ich möchte abends auf gut Glück an die Türen wildfremder Hütten klopfen, wo ich das Mahl mit dem Hirten teile und im Morgengrauen weiterziehe; möchte im Schatten eines Felsendoms alte Weggefährten treffen, eine Strecke mit ihnen gemeinsam gehen, bis ich sie bei einbrechender Nacht aus den Augen verliere. Ich habe Sehnsucht nach meinen Pilgersternen, meinem Kleinen und meinem Großen Bären, nach meinen Sternschnuppen, die wie ein Gruß des Schicksals meinen Himmel durchqueren. Und wenn ich vor Hunger eine Heuschrecke für einen Truthahn halte und vor Durst am liebsten das Meer aussöffe, dann werde ich mir eine Rast gönnen in einer Gaunerherberge und mich besaufen, bis ich voll bin wie zehn Polacken, und dann, wenn ich mehr gekotzt habe als jeder Vulkan, dann werde ich mich in die Röcke der Huren schnäuzen und bei ihren Köpfen schwören, dass mir derlei nie wieder passieren wird, und dann, auch wenn ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann, dann mach ich mich wieder in die Wüste auf, um die tausendjährigen, im Sand verborgenen Gräber zu befragen; vor steinalten Felszeichnungen will ich kampieren und mir so lange die schönsten Geschichten erzählen, bis ich am Ende selber daran glaube … So sah und sieht mein Leben und meine Vorstellung vom Leben aus, Kurt. Ich bin ein Rauchkringel, getrieben von widrigen Winden, meine Augen sind Jäger des Horizonts, meine Sohlen aus dem Stoff fliegender Teppiche genäht …«
    Er verstummt, von seiner eigenen Prosa überwältigt, mummelt sich in seine Lumpen ein, winkelt die Knie an und macht sich so klein, dass er schier in der eigenen Rührung ertrinkt.
    Nachdem alle Tränen geflossen sind, die sein Körper hergeben kann, stützt er sich auf einen Ellenbogen, dreht

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