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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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sich zu mir um und präsentiert mir unter tragischem Lächeln, einem Lächeln an der Grenze zur Kapitulation, sein schadhaftes Gebiss:
    Â»Mein Gott, tut das gut, so ein bisschen Selbstmitleid von Zeit zu Zeit!«
    Am Nachmittag taucht Hauptmann Gerima im Vorhof unseres Kerkers auf. Erst schnauzt er die Wache an, mehr um sein Kommen anzukündigen, dann räuspert er sich und steht schon im Eingang. Mit der Hand auf der Tür lässt er seinen Blick erst durch die Zelle schweifen, dann auf Bruno verweilen, der sich unter seinem Moskitonetz verschanzt hat.
    Â»Wie geht es ihm denn?«, fragt er mich.
    Â»Sie hätten ihm fast ein Auge ausgeschlagen«, entgegne ich angewidert. Eigentlich wollte ich gar nicht mit ihm reden, doch es ist mir so herausgerutscht.
    Verlegen kratzt er sich am Schädel. Es ist nicht zu übersehen, dass er eine schlaflose Nacht hinter sich hat: geschwollene Tränensäcke und schlaffe Hängebacken. Um sich anzuspornen, hat er die Matrosenjacke zugeknöpft, aus der sonst meist sein Wanst hervorquillt, Paradesymbol eines jeden Rebellenchefs.
    Â»Wenn das keine Schande ist!«, klagt er.
    Der Hauptmann möchte sich gern versöhnlich geben, doch da dieses Bestreben so gar nicht zu der von ihm gewählten Existenz passt, wirkt die Demutshaltung, die er demonstriert, auf mich nur pathetisch und fehl am Platz. Es gibt Leute, die sind der personifizierte Ausdruck ihrer Missetaten, unwürdig aufgrund ihrer Skrupellosigkeit und so abstoßend hässlich wie die eigene Falschheit. Zu ihnen gehört auch Hauptmann Gerima – man könnte ihm die Hand reichen, um ihm aus der Bredouille zu helfen, und er schlüge sie einem dennoch ab.
    Er tritt im Türrahmen von einem Fuß auf den anderen, unschlüssig, ob er hereinkommen oder weitergehen soll. Schließlich tritt er ein, die Hände auf dem Rücken verschränkt, die Schultern gebeugt wie ein General, dem keine Strategie mehr einfällt.
    Â»Ich mag es nicht, wenn man mir Kontra gibt«, beklagt er sich.
    Ich reagiere nicht.
    Er bleibt stehen und spricht jetzt mit der Wand:
    Â»Das ist mir zum ersten Mal passiert, dass ich derart aus der Haut fahre. Im Allgemeinen habe ich die Lage besser im Griff … Aber dieser Franzose ist einfach zu weit gegangen.«
    Dann, an mich gewandt:
    Â»Sind alle Franzosen so wie er? Können sie sich nicht zurückhalten …?«
    Er breitet die Arme aus und klatscht sich auf die Schenkel:
    Â»Wie soll man denn da nicht ausrasten …? Ist euch, seit ihr hier seid, schon einmal jemand dumm gekommen …? Ihr werdet korrekt behandelt. Ihr bekommt zu essen und zu trinken, und wir lassen euch in Ruhe schlafen. Ihr werdet auf der ganzen Welt keine Geiseln finden, die besser dran sind als ihr. Anderswo macht man Hundefutter aus ihnen, man schneidet ihnen die Kehle durch wie einem Schaf … Ich dagegen habe noch nie eine Geisel exekutiert. Und dieser Franzose wagt es, meine Autorität ins Lächerliche zu ziehen. Wie sollen meine Männer mich denn respektieren, wenn ich zulasse, dass meine Gefangenen mich heruntermachen?«
    Er schneuzt sich in den Ärmel, dann fährt er fort:
    Â»Das ist eine Frage der Disziplin, Doktor … Und ohne Disziplin bist du Freiwild. Manche meiner Männer sind imstande, dir lebendigen Leibes die Haut abzuziehen. An Geld sind die gar nicht interessiert. Was sollten sie sich denn kaufen, wohin sollten sie gehen? Das ganze Land ist im Krieg. Sie haben nie etwas anderes gekannt. Und der Krieg hat nur ein Gesicht: das ihre! Wenn es nach ihnen ginge, würden sie einen in Stücke ­reißen, nur um nicht aus der Übung zu kommen.«
    Er blickt sich um, als fürchtete er, belauscht zu werden, dann vertraut er mir an:
    Â»Glaubst du vielleicht, mir macht das Spaß, hier zu vermodern oder dauernd gezwungen zu sein, nur im Vertrauen auf meine Intuition aufzubrechen und endlos zwischen Tausenden von Hinterhalten zu lavieren? Glaubst du im Ernst, das gefällt mir?«
    Wieder blickt er sich um, dann fährt er fort:
    Â»Ich wäre bereit, meine Waffen, all meine Waffen, auf der Stelle gegen dein Skalpell einzutauschen, Doktor. Krieg zu führen ist kein Honigschlecken. Ich leide genauso darunter wie der Hirte, der auf eine Landmine tritt, oder das Mädchen, das einer verirrten Kugel zum Opfer fällt. Niemand, ich sage bewusst niemand, ist mehr sicher, wenn man die Tragödie zum Dogma erhebt und nur

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