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Die Landkarte der Finsternis

Die Landkarte der Finsternis

Titel: Die Landkarte der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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hätten. Ich oben auf meinem Ausguck, die Sonne betrachtend, die sich blutüberströmt zur Ruhe begibt, Bruno unten hinter seinem Strauch. Als die Finsternis in meine Gedanken einbricht, gehe ich zum Pick-up, nehme die Treibstoffkanister, schütte alles Benzin über dem Fahrzeug aus, lasse ein Streichholz aufflammen und schleudere es auf die Karosserie. Bruno schüttelt betrübt den Kopf. Er denkt, dass es bei mir jetzt endgültig ausgesetzt hat. Es hat aber nicht ausgesetzt. Mir ist schon klar, wie idiotisch meine Tat nach außen hin wirkt, aber es ist ein wohlüberlegter Akt: Ich will auf unsere Notlage aufmerksam machen, und es ist mir völlig egal, ob das Nomaden oder Banditen anlockt. Ich habe auch keine Angst, wieder zur Geisel genommen zu werden. Ich weiß nur eins: Ich bin nicht scharf darauf, so lange durch diese verfluchte Wüste zu stolpern, bis ich verdurste oder vor Erschöpfung zusammenbreche; ich weigere mich, als namenloser Knochenhaufen unter den vom Sandsturm blankgeschliffenen Gerippen vor Urzeiten krepierter Tiere zu enden.
    Der Morgen graut. Vom Pick-up ist nichts als ein verkohlter, rauchender Metallhaufen übrig, aus dem hier und da noch ein paar Flammen züngeln. Wir haben die Nacht über kein Auge zugetan, auf jeden verdächtigen Schatten, jedes Geräusch gehorcht. Doch kein Mensch ist gekommen, um sich unser Debakel aus der Nähe anzusehen. Keine Militärpatrouille und keine wilde Horde, kein Karawanenführer und kein Dschinn. Bruno fragt mich, ob ich zufrieden bin mit der Show, die ich abgezogen habe, und wieder so weit bei Verstand, ihm zu folgen. Ich schultere einen Rucksack, hänge die Wasserflasche um und trotte hinter ihm her.
    Wir sind den ganzen Vormittag unter einer gnadenlos sengenden Sonne marschiert, haben den Nachmittag über im Schatten eines Felsens geruht, sind gegen Abend wieder aufgebrochen und bis tief in die Nacht hinein weitergelaufen. Als ich meine Schuhe ausgezogen habe, klebten an den Sohlen Hautfetzen. Ich habe durchgeschlafen bis zum nächsten Mittag.
    Nach zwei Tagen ziellosen Umherirrens brechen wir erschöpft inmitten von Dornengestrüpp zusammen. Unsere Wasservorräte sind zur Hälfte aufgebraucht und unsere Schultern so wund gescheuert, dass wir ihnen nichts mehr zumuten können. Bruno, der etwas resistenter zu sein scheint als ich, schlägt vor, dass er allein weiterzieht, um Hilfe aufzutreiben. Meine Füße seien in einem Zustand, der unser Vorankommen sehr verlangsamt habe, und wenn ich sie nicht schone, könnten sie sich am Ende noch entzünden. Ich verspreche ihm, nach einer guten Nachtruhe wieder voll auf dem Damm zu sein.
    Gleich nach dem Abendessen sind wir in Morpheus’ Arme gesunken, ohne es auch nur zu merken.
    In der Morgendämmerung höre ich ein Baby weinen. Ich denke, ich träume, aber Bruno hat es auch gehört. Er sitzt mit zusammengezogenen Brauen da und versucht, das Wimmern zu orten. Er legt einen Finger auf seine Lippen, um mir zu bedeuten, still zu sein, und greift nach seinem Gewehr. Das Weinen dringt aus einem Talweg. Wir umrunden eine Gestrüppwand, schlittern einen Abhang hinunter, treten winzige Gerölllawinen los. Im Dickicht kauert eine Frau …! Sie wiegt ein Baby an ihrer Brust. Plötzlich dreht sie sich um und entdeckt uns – genau über sich. Als sie das Gewehr sieht, presst sie ihr Kind so fest an sich, dass es fast erstickt. Bruno hebt besänftigend die Hand, doch der Anblick der Waffe hat sie derart verängstigt, dass sie es noch nicht einmal bemerkt. Er redet in einem lokalen Dialekt auf sie ein, aber sie scheint ihn nicht zu verstehen. Ich bitte Bruno, die Waffe sinken zu lassen. In dem Moment tauchen in Lumpen gehüllte Gespenster auf. Nach ein paar Minuten sind wir von rund vierzig Frauen, Kindern und Männern umringt, die in den Sträuchern ringsum geschlafen haben. Unser Eindringen hat sie offenbar geweckt, und nach und nach kommen sie jetzt aus ihren Verstecken hervor, unschlüssig, ob sie sich ergeben oder flüchten sollen. Bruno legt das Gewehr auf den Boden und hebt beide Arme zum Zeichen der Beschwichtigung.
    Â»Wir wollen euch bestimmt nichts Böses«, sagt er begütigend.
    Sie starren uns an; der marode Anblick, den wir bieten, dürfte sie mehr erschrecken als die Waffe im Gras. Die Kinder, die sich hinter den Lumpen ihrer Mütter verstecken, halten uns sicher für Dämonen. Weiter hinten

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