Die Lange Erde: Roman (German Edition)
errichtete Zivilisation, vielleicht«, sagte Lobsang betulich. »Mit der Terminologie müssen wir sehr vorsichtig umgehen.«
Joshua starrte auf ein Knochenstück, das womöglich ein Finger war, an dem ein Ring aus massivem Gold saß, mit Saphiren besetzt. Er bückte sich und hob ihn auf. »Seht mal. Das kann eigentlich nur Schmuck sein. Sie waren uns sehr ähnlich, ob nun Dinosaurier oder nicht. Sie waren intelligent. Sie haben Werkzeuge benutzt. Sie haben Gebäude errichtet, sogar eine Stadt, zumindest diese hier. Und sie kannten Kunst … Schmuck …«
»Ja«, sagte Lobsang. »In einer wesentlichen Hinsicht waren sie wie wir, und ganz anders als zum Beispiel die Trolle. Diese Kreaturen haben eine kulturelle Umgebung um sich herum geschaffen. Unsere Gebrauchsgegenstände, unsere Städte, das sind alles externe Speicher unseres Wissens aus vergangenen Zeiten. Die Trolle scheinen nichts dergleichen zu besitzen, wenn auch womöglich ihre Lieder ein Schritt in diese Richtung sind. Diese Wesen hier besaßen offensichtlich diese Fähigkeit.«
»Sie sehen sogar so aus, als wären sie aufrecht auf zwei Beinen gegangen«, sagte Joshua.
»Möglicherweise sehen wir hier etwas Allgemeingültiges«, erwiderte Lobsang. »Der aufrechtgehende Zweibeiner ist ein Werkzeuge benutzendes Wesen, dem grundsätzlich ein Körperbau mit vier Extremitäten zugrunde liegt. Vielleicht entwickeln intelligente, menschenähnliche, Werkzeuge benutzende Kreaturen auch immer eine natürliche Neigung, sich in so etwas wie Städten zusammenzurotten. Vielleicht ist ihnen sogar eine Faszination für hell glitzernde Schmuckstücke gemeinsam. Und doch ist das alles hier aus und vorbei. Sie haben sich selbst vergiftet. Und jetzt vergiften sie uns.«
Sally blickte Joshua an. »Es kommt mir vor, als hätte ich gerade erfahren, dass ich einen tot geborenen Zwillingsbruder hatte.«
»Es hat keinen Sinn, dass wir uns noch länger hier aufhalten«, sagte Lobsang. »Man müsste auf jeden Fall eine ordentlich ausgerüstete archäologische Expedition herschicken – mit Strahlenanzügen. Das alles wird sich ja noch ein bisschen länger halten. Wir befinden uns weit genug von der Datum entfernt, und ich bezweifle, dass hier in nächster Zeit Touristen auftauchen. Kommt, Kinder. Gehen wir nach Hause. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun.«
Auf dem Weg zum Aufzug sagte Joshua verbittert: »Das alles kommt einem wie eine sinnlose Verschwendung vor. Diese vielen Welten. Was soll das alles, so ohne eine Absicht dahinter?«
»So ist es nun mal«, antwortete Lobsang. »Aber vielleicht siehst du es nur falsch. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir intelligentes Leben auf anderen Planeten finden? Die Astronomen haben mehrere Tausend Planeten in anderen Sonnensystemen entdeckt, aber bis jetzt gab es noch keinen Anlass dafür zu vermuten, dass dort draußen noch jemand ist. Vielleicht ist es sehr kompliziert, eine Werkzeuge herstellende Intelligenz zu entwickeln. Vielleicht sollten wir dankbar dafür sein, dass wir diesen Kreaturen beinahe begegnet wären, jedenfalls, wenn man den Wahrscheinlichkeitsraum in Betracht zieht.«
»Aber wenn diese Wesen intelligent waren«, sagte Sally, »warum haben wir sie nur in einer Welt gefunden? Hätten wir nicht auch Spuren von ihnen in benachbarten Welten feststellen müssen? Zumindest an diesem Standort. Konnten sie trotz ihrer Intelligenz nicht wechseln?«
»Vielleicht nicht«, antwortete Lobsang. »Vielleicht sind die natürlichen Wechsler von denjenigen, die überhaupt nicht wechseln konnten, vertrieben worden. So wie es allem Anschein nach gerade auf der Datum-Erde geschieht. Vielleicht ist das hier ein Ausblick in unsere eigene Zukunft.«
Sally und Joshua, zwei heimliche natürliche Wechsler, wechselten mehrere verständnisinnige Blicke.
41
N atürliche Wechsler, die Schritte von einer Welt in die nächste machen. Wie hübsch. Ich meine, Schritte machen können wir alle. Wir machen kleine Schritte, das lernen wir, sobald wir von der Mutterbrust entwöhnt werden. ›Schau mal, das Baby macht seine ersten Schritte!‹« Brian Cowley, der ein ausgemachter Schauspieler war, ging mit winzigen Schrittchen auf der Bühne hin und her. Er hielt das Mikro in der Hand, der Scheinwerferkegel schälte ihn aus der Dunkelheit in dem höhlenartigen Konferenzraum heraus. Brians kleine Nummer brachte ihm von ein paar Seiten johlenden Beifall ein.
Monica Jansson, heute ohne Uniform, ließ den Blick über das Publikum in dem Kellerraum
Weitere Kostenlose Bücher