Die Lange Erde: Roman (German Edition)
Sicherheitsgrenze für die Wechselgeschwindigkeit des Schiffes lag. Außerdem kam es ihm, gelinde gesagt, unklug vor, mit einer derartigen Geschwindigkeit durch völlig unbekannte Welten zu stürzen. Die Erdometer näherten sich rasend schnell der Zweimillionenmarke.
Aber Lobsang plauderte fröhlich weiter, schien von derlei Überlegungen völlig unbelastet zu sein. »Es ist noch nicht an der Zeit, alle meine Gedanken mit euch beiden zu teilen. Hier und jetzt muss genügen, wenn ich sage, dass wir es zweifellos mit irgendeinem waschechten psychischen Problem zu tun haben. Meine Hypothese lautet folgendermaßen: Die Menschen strahlen in gewisser Hinsicht ihr Menschsein aus. Wir spüren einander. Aber wir sind seit ewigen Zeiten daran gewöhnt, auf einem Planeten zu leben, der von menschlichen Gedanken durchtränkt ist. Es fällt uns nicht einmal mehr auf.«
»Erst dann, wenn es nicht mehr da ist«, sagte Joshua.
Sally sah ihn neugierig an.
»Ich vermute, dass vor sehr langer Zeit einige dieser Wesen, also Elfen und Trolle und vielleicht auch andere Varianten, auf die Datum gewechselt sind und sich hin und wieder eine Weile bei uns aufgehalten haben. Damit haben sie Anlass für unzählige Legenden gegeben. Das alles fand jedoch in den Tagen relativ bescheidener menschlicher Population statt. Inzwischen platzt der Planet aus allen Nähten, und für Wesen, die den Großteil ihrer Zeit in der unberührten Stille von Wäldern und Prärien verbringen, muss das sein, als würden plötzlich sämtliche Teenager-Partys auf einmal abgehalten. Deshalb meiden sie die Datum seit geraumer Zeit. Andererseits sind die wechselnden Spezies von Westen her vor irgendetwas auf der Flucht, vor etwas, was sie unweigerlich wieder auf die Datum zutreibt. Sie stecken also zwischen Baum und Borke. Und manchmal geraten sie in Panik. Joshua und ich haben erlebt, was passiert, wenn sie in Panik geraten – sogar Trolle können Schaden anrichten, wenn sie in die Enge getrieben werden. Erinnerst du dich noch an die Kirche der Opfer des kosmischen Taschenspielertricks, Joshua?«
Joshua sah Sally an. Von ihr erwartete er eigentlich nichts als Misstrauen. Wundersamerweise machte sie ein eher nachdenkliches Gesicht. »Woran denkst du, Sally?«, fragte er.
»Daran, dass das alles sehr weit hergeholt ist. Trotzdem … Ich bin wie du. Wenn es nötig ist, gehe ich auch in eine Stadt, aber sobald ich drin bin, werde ich sofort so nervös wie eine langschwänzige Katze in einem Zimmer voller Schaukelstühle. Ich kann nicht schnell genug wieder wegkommen, es treibt mich hinaus, zurück in die leeren Welten. Wo ich mich wesentlich wohler fühle.«
»Aber du fliehst nicht direkt, oder? Und es fällt dir während der übrigen Zeit auch nicht weiter auf. So wie Fischen das Wasser nicht auffällt.«
Erstaunlicherweise lächelte Sally. »Das hört sich sehr nach Zen an, Joshua. Fast schon nach Lobsang.« Sie musterte ihn aufmerksam. »Und was ist mit dir?«
Sie weiß es, dachte er. Sie weiß alles über mich. Trotzdem zögerte er mit seiner Antwort.
Dann teilte er sich ihnen auf diesem dahineilenden Luftschiff mit, viel offener, als er je mit irgendjemandem über seine tiefsten Empfindungen gesprochen hatte, nicht einmal mit Schwester Agnes oder Monica Jansson.
Er erzählte ihnen von dem eigenartigen Druck in seinem Kopf, den er jedes Mal verspürte, wenn er auf die Datum zurückkam. Ein Widerwille, der sich letztendlich in eine physische Abneigung verwandelte. »Es ist etwas in meinem Kopf. Es ist so, als müsste man als Kind zu einer Party gehen, von der man weiß, dass dort alle perfekt hinpassen, nur man selbst nicht. Als könnte man buchstäblich keinen weiteren Schritt mehr machen, weil man wie von einem Magneten zurückgezogen wird.«
Sally zuckte die Achseln. »Zu solchen Partys bin ich nie gegangen.«
»Außerdem bist du ungesellig, Joshua«, sagte Lobsang. »Das wussten wir schon vorher. Was willst du uns damit sagen?«
»Es geht darum: Was es auch sein mag, was auch der Grund für das alles sein mag, ich spüre schon von Anfang an etwas Ähnliches hier drin. Im Schiff. Einen Druck, der mir das Weitermachen zunehmend erschwert.« Er schloss die Augen. »Und es wird immer schlimmer, je weiter wir nach Westen kommen. Auch jetzt spüre ich ihn. Wie einen Widerstand, tief in mir. Sobald wir anhalten, kann ich ihn ertragen, aber wenn wir reisen, lässt er sich immer schwerer aushalten.«
»Etwas weit draußen im Westen stößt dich von sich?«,
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