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Die Lange Erde: Roman (German Edition)

Die Lange Erde: Roman (German Edition)

Titel: Die Lange Erde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett , Stephen Baxter
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Lederhülle lag völlig intakt im Gras. Auch sein Soldbuch war unangetastet, und niemand hatte sich um die paar Pennys in seinem Tornister gekümmert, sogar die Glasflasche mit seiner Rumration befand sich noch an Ort und Stelle. Was für ein merkwürdiger Dieb! Percy besaß auch noch alle seine Farben – nur die Metallkiste, in der er die kleinen Tuben aufbewahrte, war verschwunden. Nicht nur das, jemand hatte sich sogar die Mühe gemacht, die Metallbänder rings um die Pinselborsten abzureißen, weshalb die kleinen Stoppelbündel jetzt lose auf dem Boden des Leinenbeutels lagen. Warum das denn?
    Und was war mit seinen Waffen? Er überprüfte die Pistole am Gürtel. Von ihr war nur noch der Holzgriff geblieben. Auch hier fragte er sich: warum? Eine Pistole stehlen, ja, aber was wollte man damit ohne den Griff groß anfangen? Es ergab einfach keinen Sinn. Andererseits ergab so vieles keinen Sinn. Wo hatte an der Westfront der gesunde Menschenverstand je eine Rolle gespielt?
    Die Russen betrachteten ihn stumm, allem Anschein nach ein wenig verwirrt von seinem Herumkramen in seinen Sachen.
    Nach und nach sickerte die Erinnerung durch, in welchem Schützenloch sie sich bisher auch versteckt haben mochte.
    Nach seiner Beinwunde war Schütze Percy zu einer Tarnungseinheit versetzt worden. Und zwar deshalb, weil der Armee erstaunlicherweise aufgefallen war, dass er früher mal Zeichner gewesen war, und manchmal brauchte diese Armee, die in erster Linie Männer brauchte, die ein Gewehr halten und, besser noch, eine Kugel abfangen konnten, sogar Männer, die einen Stift halten und aus Gottes Regenbogen den richtigen Farbton auswählen konnten, um einen Mark-I-Panzer in einen harmlosen Heuschober zu verwandeln, wenn auch in einen, aus dem ab und zu ein Rauchkringel aufstieg, wenn die Jungs dahinter hastig eine schmauchen mussten. Percy hatte sich über die Verschnaufpause gefreut. Deshalb hatte er einen Farbkasten dabei: zum Abstimmen der Farben und um letzte Feinheiten anzubringen, nachdem die üblichen grünen Tarnkleckse draufgeschmiert worden waren.
    Woran konnte er sich noch erinnern? Was war direkt vor dem Granatbeschuss gewesen? Ach ja, der Sergeant hatte den Neuen zusammengestaucht, weil er eine dieser elenden Feldbibeln dabei hatte, die in die Brusttasche passten; eine von den Dingern, die Mütter und Geliebte in der Hoffnung an die Front schickten, dass die heiligen Worte ihre Jungs beschützten, und falls Worte und der Glaube allein nicht ausreichten, dann erfüllte vielleicht die Beschichtung aus Kanonenmetall diesen Zweck. Percy erinnerte sich daran, dass er seine Siebensachen gepackt hatte, um sich bei der neuen Einheit zu melden, und dass der Sergeant den reinsten Wutanfall bekommen hatte. Er hatte mit dem Objekt des Anstoßes vor dem Jungen herumgewedelt und gebrüllt: »Du hirnverbrannter verdammter Idiot, hat deine verdammte Mutter noch nie was von Granatsplittern gehört? Wir hatten mal einen Sappeur, ein guter Junge war das, den hat ein Splitter direkt in sein verdammtes Eisernes Testament erwischt und ihm das Herz bei lebendigem Leib aus dem Körper getrieben, dem armen Teufel!«
    Dann war er brutal vom Granatfeuer unterbrochen worden. Warum waren der rotgesichtige Junge und der Sergeant im grellen Blitz einer Bombe verschwunden, die nicht weit von Percy entfernt eingeschlagen hatte, während er selbst in dieser friedlichen Welt saß, in der Gesellschaft dieser freundlich dreinblickenden Russen, und immer noch den herrlichen Gesang der Vögel hören konnte? Im Grunde seines Herzens wusste Percy, dass er auf solche Fragen wohl nie eine Antwort bekommen würde.
    Also am besten gar nicht erst fragen.
    Die Russen, die vor ihm im Gras saßen, sahen ihm interessiert dabei zu, wie er mühsam versuchte, aus der finsteren Grube in seinem Kopf herauszuklettern.
    Als die beiden Jäger der Russen zurückkehrten, trug einer von ihnen offensichtlich mühelos ein frisch erlegtes Reh, ein großes, schlaffes Tier.
    Ein weniger unerschrockener Mann hätte sich womöglich davon verwirren lassen, dass ihm ein riesengroßer pelziger Russe ein totes Tier direkt vor die Füße warf. Die Erfahrungen, die Schütze Percy in seiner Jugend als Gelegenheitswilderer gemacht hatte, plus die vielen Jahre der Mangelernährung an der Front verquickten sich bei ihm zu einem überaus zielgerichteten Handeln. Das Ausnehmen so ganz ohne Stahlklinge war ein blutige Angelegenheit, aber der Knopf an seinem Brotbeutel war aus dünnem Messing und

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