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Die langen Schatten der Erleuchtung

Die langen Schatten der Erleuchtung

Titel: Die langen Schatten der Erleuchtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirti Peter Michel , Klaus-Jürgen Leimann
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vergeudete Zeit. Ich betätige mich lieber politisch, das bringt mir mehr als Herumhopsen und Saufen!“, erklärte Vera.
    „Du musst nicht alles so prinzipiell sehen, meine Liebe“, erwiderte Marlies ungewohnt scharf, „das wird auf Dauer ein bisschen zu anstrengend. Ich erinnere nur an die Zeiten, wo wir kein Obst mehr aus faschistischen Ländern gekauft haben. Nachher mussten wir die Schrumpfdinger futtern, von denen wir annahmen, sie seien aus dem Alten Land. Die waren doppelt so teuer. Und wie sich später herausstellte, kamen die auch aus Chile!“
    „Trotzdem, ich finde diese Partys irgendwie kindisch und dekadent!“
    „Ach, Vera“, beschwichtigte Jutta, „für dich kommt ein Mann doch erst in die engere Auswahl, wenn er das kommunistische Parteibuch und drei Jahre politische Haft vorweisen kann! Das ist uns zu anstrengend. Marlies und ich wollen nur ein wenig tanzen und uns amüsieren. Das ist alles, und das werden wir auch tun, nicht Marlies?!“ Vera winkte resigniert ab.
    Gary hatte seinen rechten Arm neben Jojos Hand auf den Tisch gelegt und verglich unauffällig aus den Augenwinkeln seine Bräune mit der Haut von Jojo. Hanif saß vergnügt in seiner roten Latzhose mit dem gelben Pullover und den Cowboystiefeln neben Vera und ließ es sich schmecken.
    Dann hatte das Vibrieren der Dielenbretter die Küchentür erreicht. Die Tür schwang auf wie zum ersten Akt einer Theateraufführung: Im Rahmen stand eine Frau um die Siebzig, die Mühe hatte, die Tür auf die gewohnte Art zu durchschreiten. Sie war kaum 1.60 m groß und wog gut und gerne 300 Pfund. Man hatte den Eindruck, sie sei so breit wie hoch. Mit den behäbigen Schritten eines Arbeitselefanten bewegte sie sich auf das zweisitzige Rattanelement neben dem Kühlschrank zu. Ihr Gesichtsausdruck war konzentriert und entschlossen wie der einer Seiltänzerin.
    „Das ist unser Käthchen!“, stellte Marlies sie Jojo und Hanif vor und schloss die Küchentür hinter ihr. Käthchen war die ehemalige Besitzerin des Hauses, das sie an Hubertus und Mathilda verkauft hatte, als es ihr aufgrund ihres Gewichts unmöglich wurde, das obere Stockwerk zu erreichen. Sie hatte sich neben einer kleinen Leibrente ein lebenslanges Wohnrecht in zwei der unteren Räume mit Ausgang über die Terrasse vertraglich gesichert. Endlich hatte Käthchen das Rattansofa erreicht und wendete schwerfällig wie eine Schildkröte. Sie stützte sich auf dem Kühlschrank ab und ließ ihren Körper langsam nieder wie eine schwere Last, die ein Kranführer absetzt. Das geschundene Möbelstück stöhnte unter ihrem Gewicht auf. Es hörte sich an, als würde ein Haufen Reisig knisternd abgefackelt. Das Rattangeflecht spreizte alle Viere leicht von sich wie ein Ringer, der sich vor der unvermeidlichen Niederlage vergeblich in eine Brücke flüchtet. Dann verstummte das Rattangeflecht. Käthchen saß. Sie füllte das zweisitzige Element vollständig aus. Als erstes warf sie einen prüfenden Blick auf ihren Teller zur linken auf dem Kühlschrank, und als sie mit der Menge und Zusammenstellung des Imbisses einverstanden schien, wendete sie ihren massigen Kopf mit der gescheiterten Dauerwelle Jojo und Hanif zu. Ihre braunen Augen blitzen vor Lebensfreude und Wohlwollen. Sie glich einem gutgelaunten Ochsenfrosch auf seinem Thron. Als Jojo und Hanif Käthchens Lächeln erwiderten, kaute sie bereits zufrieden vor sich hin und hatte nur noch Augen für ihren Teller.
    Gary hatte sich erhoben und trug seine Müslischale zum Kühlschrank und füllte sie dort mit Milch auf. „Ich kann nur noch im Zustand absoluter Stille in der Haltung der Meditation essen!“, erklärte er murmelnd in Richtung von Jojo und Hanif und zog sich auf sein Zimmer zurück.
    Als seine Schritte auf der Treppe verstummten, meinte Marlies: „Ein Glück! Ich fühle mich in Garys Nähe immer komisch - irgendwie ständig beobachtet und kontrolliert! Und dann sein blödes Gerede: Natürlich würde ich euch begleiten, wenn ich nicht so müde wäre! – Er ist überhaupt nicht eingeladen!“
    Keiner widersprach, nur Käthchen meinte zwischen zwei Bissen: „Ich kenne den Gary von Anfang an. Er heißt eigentlich Gerhard. Und er war der erste, den Hubertus und Mathilda hier einziehen ließen. Aber dann fing er an, sich auf einmal Gary zu nennen. Ich weiß nicht warum. Und ich weiß auch nicht, an welchen Gary er da gedacht hat: Gary Grant oder Cooper? Jedenfalls begann er sich auf einmal zu verändern! Ich vermute, dass er wieder zu

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