Die Lanze des Herrn
einer Zeit wie der unsrigen, wo nur noch der Mammon zählt und man sich nur noch auf wissenschaftliche Fakten verlässt! Aber was ich Ihnen hier sage, hat nichts mit esoterischen Spekulationen zu tun. Den Satanismus können Sie in der Pfeife rauchen. Ernst nehmen müssen Sie die modernen Hexereien. Sind Sie jemals auf die Idee gekommen, dass diese Apokalypse… metaphorisch gemeint sein könnte? Darauf weisen die Mosaiken hin. Auf die Metapher des Weltendes, auf das Ende einer Welt. Es wird prophezeit, dass der Mensch Mittel und Wege finden wird, sich selbst zu zerstören. Als Beispiel braucht man nur an die Atomkraft zu denken. Nur dass es diesmal um ein inneres atomares Feuer geht. Oh ja, ich habe die Mosaiken begriffen, aber zu spät.«
»Ich verstehe absolut nicht, was Sie mir sagen wollen, Monsieur Seltzner.«
»Hören Sie«, fiel ihr der Archäologe ins Wort. »Sie sind in Gefahr! Verstehen Sie? Sie sind in Lebensgefahr und ich auch. Sie können uns jeden Augenblick finden!«
Judith drehte sich zu Anselmo, warf ihm kurz einen Blick zu, dann wandte sie sich wieder an den Archäologen.
»Zum allerletzten Mal, von wem sprechen Sie, Monsieur Seltzner?«
Er war endlich mit seiner Brille fertig, setzte sie wieder auf und sah Judith an.
Er zögerte erst, dann stieß er hervor:
»Jetzt will ich einen Anwalt. Verstehen Sie? Ich will verflucht noch mal einen Anwalt.«
Er machte Miene aufzustehen.
»Monsieur Seltzner, ich rate Ihnen, sich wieder zu setzen.«
»Ich kenne meine Rechte, und nur weil wir in Ägypten sind, werde ich nicht darauf…«
»Für solche Kindereien ist jetzt keine Zeit!«
»Ich habe gesagt, dass ich einen Anwalt will. Sie verschwenden Ihre Zeit. Ich sage kein weiteres Wort mehr. Zuerst müssen Sie mir garantieren, dass ich sicher bin.« Sie klopfte sich auf die Schenkel, richtete sich auf und warf erneut einen Blick zu Anselmo.
»Also gut, Monsieur Seltzner. Wenn Sie sich weigern, mir alles zu sagen, was Sie wissen, dann passiert jetzt Folgendes. Die israelische Regierung wird Sie in Gewahrsam nehmen. Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, dass jemand vom Mossad bei uns ist. Betrachten Sie sich als verhaftet.
Heute Abend werden Sie per Flugzeug nach Beersheba in Israel gebracht, wo Sie vom israelischen Geheimdienst verhört werden. Wir begleiten Sie, wenn der Vatikan und Israel grünes Licht geben.«
Sie holte tief Luft.
»Machen Sie uns unsere Aufgabe nicht schwerer, als sie ohnehin schon ist. In Beersheba sind Sie zwar in Sicherheit, aber vor Verhören kann ich Sie nicht schützen. Verstehen Sie, was ich meine?«
Der Archäologe zögerte lange und sagte dann:
»Für mich ist es dort immer noch besser als hier.«
Anselmo nickte.
»Gut, dann folgen Sie uns bitte…«
Bevor sie ihren Satz beendet hatte, stürzte der Mann davon.
Mit dem Knie stieß er die alte Schüssel mit dem Couscous um. Bohnen und Kichererbsen flogen durch die Luft, Couscous spritzte bis an die Decke. Der Archäologe stieß Judith zur Seite. Sie wäre beinahe gestürzt und gegen die Wand getaumelt. Er hatte gehofft, auch Anselmo, der vor dem Ausgang stand und ihm den Weg versperrte, zu überrumpeln. Aber die Reflexe des Leibwächters waren noch immer hervorragend. Er war bereit. Der Franzose warf sich mit aller Kraft auf ihn, Anselmo fing den Aufprall auf, zwang seinen Gegner in die Knie und drehte ihm den Arm auf den Rücken, sodass er vor Schmerzen das Gesicht verzog.
Keine fünf Sekunden waren vergangen.
»So, das reicht, Monsieur Seltzner«, sagte der Schutzengel. »Lassen Sie es nun gut sein, ich glaube, das bekommt Ihnen besser.«
Anselmo und Judith nahmen den Archäologen in die Mitte und verabschiedeten sich von Chaled, der noch immer seine Wasserpfeife rauchte. Harry Milchan wartete auf der Straße vor dem Laden auf sie.
Der Agent musterte den Archäologen einen Augenblick.
»Monsieur ist bereit, uns ohne weiteren Widerstand zu folgen… Tut mir leid, dass wir Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet haben, Mr. Muhammad. Sie werden eine angemessene Entschädigung erhalten. Harry… Wir fahren jetzt zum Flughafen und übergeben Monsieur Seltzner den Behörden Ihres Landes. Ab sofort haben Sie die Verantwortung für ihn. Anselmo informiert den Vatikan und regelt alles mit der ägyptischen Regierung. Wir begleiten, wie besprochen, Monsieur Seltzner, um bei den Verhören in Beersheba dabei zu sein. Und Sie, Monsieur, sind, wie ich schon gesagt habe, verhaftet. Was aus Ihnen wird, hängt ganz von den
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