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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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Informationen ab, die Sie uns geben.«
    Harry Milchan nickte schweigend, dann zog er ein Paar Handschellen hervor, die an seinem Gürtel hingen, aber unter seinem Hemd verborgen gewesen waren.
    »Einen Augenblick, was soll denn das?«, fragte Seltzner auf die Handschellen deutend. War doch nicht so schwierig, dachte Judith gerade. Es lief alles wie geschm…
    Niemand sah, woher der Schuss kam. Aus des Agenten Brust trat plötzlich ein Schwall Blut, als sei er explodiert.
    Judiths Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie hatte kaum Zeit gehabt, den roten Fleck wahrzunehmen und sich zu überlegen, was er bedeutete, da war es bereits zu spät. Der Mann stürzte zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Die Handschellen fielen in den Staub. Judith drehte sich um, Anselmo unterdrückte einen Schrei. Damien Seltzner schrie in panischem Entsetzen auf. Sein Blick ging von Harry Milchan auf dem Boden zu Judith, dann stieß er blitzartig Anselmo zur Seite und stürzte sich in die Menschenmenge. Er floh!
    Der Leibwächter zögerte, blieb aber bei Judith.
    Die Leute brachen in lautes Geschrei aus. Judith kniete sich neben den sterbenden Milchan. Unter dem verrutschten Kopftuch war ihr blondes Haar zu sehen. Sie sah hoch.
    »Folgen Sie ihm, ich bleibe hier«, sagte sie zu Anselmo.
    Der Italiener nickte und verschwand seinerseits in den Tiefen des Khans, während Judith erschüttert zwei Finger auf die Halsschlagader des Agenten legte.
    Die Totenstadt
    Der französische Archäologe hatte sich in die alte Nekropole Kairos geflüchtet, nachdem er sich durch die Menschenmengen in den engen Gassen gedrängt und tollkühn die verkehrsreiche Umgehungsstraße Salah-Salem überquert hatte.
    Er rannte noch immer.
    Unter dem verhangenen Himmel rannte der Archäologe an den Toten und Lebenden vorbei, die sich diesen riesigen, einzigartigen Friedhof friedlich teilten. Mehr als zwei Millionen Menschen hausten hier zwischen den Gräbern der ältesten Mamelucken- und Osmanengeschlechter in der Totenstadt mit ihren Tausenden von Mausoleen mitten im Herzen Kairos. In der Ferne riefen die Muezzine die Gläubigen zum Gebet, während der flüchtende Archäologe an dieser staubigen Stätte der Verwesung, dieser Stätte der Erinnerung an uralte Bestattungsriten, ein Versteck suchte. Es war, als würden ihn die ockergelben Mauern und die Steine, denen er sich sein ganzes Leben lang gewidmet hatte, verschlucken, als würden ihn die antiken Ruinen verschlingen, in denen er so oft versucht hatte, die Gesichter der geheimnisumwitterten Mumien des alten Ägypten zu entziffern. Gräber über Gräber. Der Friedhof zog sich endlos hin, Bassatin, al-Darassa, Sayda, Nafissa, Sayda Aicha, Bab el-Nasr… Der Archäologe rannte weiter. Er tauchte unter in der Nekropole, der Stadt in der Stadt. Mal schob er ein Tuch zur Seite, das zwischen zwei Türen hing, mal lief er im Zickzack durch Scharen von Kindern hindurch, die zwischen Grabsteinen und Unrat spielten. Ein Haken nach links, wieder einer nach rechts. Er rannte zwischen Grabmälern hindurch, durch schmale, gewundene Gänge voller Menschen. Hier machte er einen Satz über einen Hund, der sich an Abfall vollfraß, dort stieß er gegen die Griffe einer Karre voll Feigen und zog die Verwünschungen des Händlers auf sich. Ein Lichtstrahl durchbrach die Wolken und fiel auf das Minarett von Qaitbai und den Sabil mit den vergitterten Fenstern. Aus der Ferne drang das ungeduldige Hupen von Autos durch den abendlichen Smog und den chaotischen Wald von Antennen und Satellitenschüsseln.
    Auch Anselmo irrte zwischen den Nachfahren Altägyptens umher. Unter den Augen der bunten Einwohnerschaft, die misstrauisch und erstaunt die Eindringlinge mit dem Blick verfolgte, rannte er, was das Zeug hielt. Er kam an einem alten Mann mit hellblauem Turban, zerfurchtem Gesicht und einer Haut wie Pergament vorbei. Einen Stock in der knotigen Hand, schien der Alte zwischen Tod und Leben zu stehen, zwischen den beiden Welten wie die Totenstadt mit ihren lebenden Bewohnern. Er war Totengräber und seit dreißig Jahren für einen Abschnitt des Friedhofs zuständig. Der Sektorchef, der gerade eine Miete kassierte, kümmerte sich um die Lebenden, er war der Makler und Bewacher der Grabhäuser. Als er den Archäologen und seinen Verfolger vorbeirennen sah, stieß er eine düstere Weissagung aus.
    Anselmo lief keuchend und mit pochenden Schläfen einige Meter ostwärts. Zwei Jungen machten sich an seine Verfolgung. Wie kleine Teufel schienen

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