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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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Zähne zusammen, holte tief Luft und trat aus dem Schatten in den Lichtkegel.
    »Monsieur Seltzner?«, fragte sie. Der Archäologe antwortete nicht. Er schien zu Stein erstarrt.
    Judith steckte die Hand in ihre Hemdtasche und holte ihr kleines silbernes Kruzifix hervor.
    »Ich bin Judith Guillemarche und habe die Pergamente von Akko übersetzt. Das Testament des Longinus, Monsieur Seltzner…«
    Mit gespielter Ruhe setzte sie sich Seltzner gegenüber auf ein weiteres Sitzkissen. Anselmo stellte sich hinter sie.
    »Mich schickt der Vatikan.«
    Damien Seltzner antwortete nicht, sondern sah die beiden über seine kleine runde Brille an, den Löffel noch immer in der Luft. Dann legte er ihn ab, wobei er zu verbergen versuchte, wie erschreckt er war. Er strengte sich an, die Fassung zu bewahren, aber die Angst in seinen Augen war deutlich zu erkennen. Judith fasste Mut. Sie hatte schon geahnt, dass Seltzner ganz anders war, als er sich gab. Sie hatten die Situation im Griff. So, wie er hinter der Couscousschüssel eingezwängt war, saß er denkbar ungünstig. Anselmo stand noch immer hinter Judith, ohne sich zu rühren.
    »Na«, sagte der Archäologe schließlich mit gespieltem Lächeln. »Der Vatikan ist auch nicht mehr das, was er mal war. Es sei denn, Sie sind Ordensschwester? Schickt man mir eine Nonne?«
    Judith zuckte nicht mit der Wimper, während er ihre anmutige Gestalt mit einer Mischung aus Interesse und Verachtung zu mustern schien.
    Na gut, sagte sie sich. So können wir die Partie auch spielen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, ihren Kopf wieder zu fühlen, aber sie sprach mit fester Stimme. Dieser Typ sollte sie kennenlernen.
    »Monsieur, Ihre Ironie können Sie sich sparen. Ich bin nicht Mutter Teresa, und ich habe keine Zeit für Leute wie Sie. Wir wollen wissen, was sich in Megiddo abgespielt hat. Was Sie mit der Lanze gemacht haben. Warum Sie sie gestohlen haben…«
    Sie beugte sich vor. Ihr Kopftuch verrutschte.
    »… und wem Sie sie gegeben haben.« Sie wandte sich kurz zu dem Vorhang um, durch den sie gerade gekommen war.
    »Bilden Sie sich ja nicht ein, Sie kämen hier raus. Draußen wartet ein Agent des israelischen Geheimdienstes auf Sie. Der Vatikan hat auch die ägyptische Regierung informiert, dass Sie sich auf ihrem Territorium aufhalten und dass Sie in das Massaker von neulich verwickelt sind. Das Spiel ist aus, Monsieur Seltzner. Glauben Sie mir, Ihre Situation ist nicht die beste. Also antworten Sie lieber mir, als sich denen auszusetzen, die schon auf Sie warten.«
    Sie räusperte sich. Sie fand, sie war ziemlich überzeugend gewesen. Und ganz offensichtlich hatte sie ins Schwarze getroffen. Der Archäologe presste die Lippen aufeinander. Er bewegte nervös die Hände, dann verzerrte sich sein Mund zu einem bitteren Lächeln.
    »Soll das eine Drohung sein?«
    »So kann man es bezeichnen, Monsieur. Sie sind kein Profi. Ich glaube, Ihnen ist nicht ganz klar, in welcher Lage Sie sich befinden. Wie konnten Sie sich da hineinziehen lassen? Hatten Sie Lust auf ein Abenteuer?« Sie maßen einander mit abschätzendem Blick. Seltzner wurde immer unruhiger und wischte sich schließlich über die Stirn. Er sah noch einmal Judith und dann Anselmo an, dessen Hand in sein Jackett geglitten war. Er stand da, als könnte er kein Wässerchen trüben. Dem Archäologen lief der Schweiß in dicken Perlen über das Gesicht. Er nahm eine Cleopatra aus seiner Hemdtasche und steckte sie mit zitternden Händen an.
    »Ich glaube vielmehr, dass Sie es sind, die die Lage nicht richtig einschätzen. Ich bin nicht dafür verantwortlich, verstehen Sie? Nicht ich habe sie umgebracht! Mein Gott, ich bin Archäologe. Ich habe mit dieser Geschichte nichts zu tun! Ich bin in eine Falle getappt.«
    »Das ist sehr harmlos ausgedrückt.«
    Er beugte sich vor.
    »So war es nicht geplant gewesen. Ich sollte nichts weiter tun, als Informationen weiterleiten. Man hat mich bedroht, kapieren Sie? Man hat gedroht, mich umzubringen, verflucht noch mal! Das war Erpressung. Ich hatte gar keine andere Wahl. Als sie hörten, was wir gefunden hatten… Sie sind gekommen. Ich… Ich war da, draußen, und…«
    Er nahm die Brille ab und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Seine Finger hinterließen einen weißen Abdruck auf seiner geröteten Haut. Er hatte schwarze Ringe unter seinen blutunterlaufenen Augen. Seit seinem plötzlichen Aufbruch aus Megiddo konnte er nicht viel geschlafen haben. Seine Worte überstürzten

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