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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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Mutationen, die zu einem neuen Allel führen, das eine andere Funktion haben kann. Diese Veränderungen sind für die Entwicklung der Organismen von entscheidender Bedeutung.«
    Der Koreaner unterbrach seinen Kollegen und dankte ihm mit einem etwas bemühten Lächeln. Dann beugte er sich leicht zu seinen Zuhörern.
    »Entschuldigen Sie bitte diese Rekapitulationen. Ich komme jetzt zur Sache.«
    Er sprach sehr deutlich und überlegt.
    »Wir haben ein unbekanntes Allel entdeckt, gewissermaßen ein freies Allel. Es ist nicht kontaminiert, sondern im Originalzustand. Wir haben es Longinus X² getauft. Dieses Allel könnte die Handschrift des Heiligen Geistes sein.«
    Nun hörte man Ausrufe des Erstaunens.
    Die Anwesenden kamen vor Überraschung oder Verblüffung in Bewegung. Erregung hatte sie erfasst. Jeder hatte etwas zu sagen und raunte es seinem Nachbarn zu. Es dauerte eine ganze Weile, bis wieder Ruhe eingekehrt war. Professor Li-Wonk, zufrieden mit der Wirkung seiner Worte, setzte wieder seine unbewegliche Miene auf und hob die Hand.
    »Verstehen Sie mich richtig! Dieses Allel ändert alles. Es existiert nirgendwo sonst in der Natur und der uns bekannten Welt. Es ist ein mutiertes Allel. Ein richtiges Wunder. Seine sozusagen sofortige Entdeckung hat alle unsere Erwartungen übertroffen. Als hätte es zweitausend Jahre auf uns gewartet. Daraus ergeben sich zwei Dinge. Erstens haben wir es aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich mit dem Blut Christi zu tun. Zweitens spielt die Beschädigung der DNA-Sequenzen nur noch eine untergeordnete Rolle. Wenn es uns gelingt, mit der DNA eine Befruchtung vorzunehmen, die das freie Allel X² enthält, wird die Leihmutter eine Frucht mit den besonderen Eigenschaften Christi austragen. Es ist nicht von Belang, ob das Kind genauso aussieht wie Jesus. Vom biologischen Standpunkt aus ist es ganz unwichtig, ob es sich um eine äußerlich ähnliche Kopie handelt. Nicht das Fleisch macht die Seele, nicht wahr? Wir könnten Jesus klonen, aber wir würden nie wissen, ob er der neue Messias wird, da er Einflüssen der Erziehung, des Milieus, seiner Erfahrungen und seiner Tätigkeiten ausgesetzt wäre. Aber mit dem freien Allel haben wir etwas radikal anderes in der Hand!«
    Er konnte ein zufriedenes Grinsen nicht unterdrücken. Er hatte seine Rede sehr gesetzt begonnen. Jetzt packte ihn die Begeisterung. Er konnte sich nur noch sehr schwer beherrschen. Nur der Japaner Yzamata, der noch nicht zum Reden aufgefordert worden war, blieb gelassen.
    »Das Allel kann erbliche körperliche Eigenschaften verändern. Wenn aber diese Erbschaft teilweise göttlichen Ursprungs ist – ja, wir glauben, dass das Allel Longinus X² auch einen Einfluss auf die Spiritualität oder das Verhalten des Klons hat. Wenn es sich um das Allel des Heiligen Geistes handelt, könnte das Kind ähnlich außergewöhnliche Fähigkeiten wie Jesus haben. Übernatürliche Eigenschaften! Die Kraft, Wunder zu wirken. Kurz, seine Macht wäre ein direktes Erbe seiner göttlichen Abstammung! Wir haben es nicht mehr nur mit einer genetischen oder im biologischen Sinne deterministischen Frage zu tun. Wir glauben, dass wir das Gen der Seele entdeckt haben, wenn Sie so wollen. Denen, die glauben, dass Jesus eine einzigartige Persönlichkeit war, die man nicht reproduzieren kann, der Sohn Gottes, der mit menschlichen Kräften nicht mehr zum Leben erweckt werden kann, zu denen sagen wir: Nein! Dieses Allel gibt uns zwar nicht die Möglichkeit, die Wiederkehr des Messias herbeizuführen, aber wir können den Enkel des Menschensohns erschaffen.«
    Seine Augen leuchteten.
    »Denn die Abstammung ist nicht zu leugnen. Und die Hoffnung, etwas ganz Wunderbares zu erleben, ebenfalls.«
    Professor Li-Wonk holte tief Luft. Nachdem er einen Schluck Wasser getrunken hatte, richtete er sich langsam auf. Er legte eine Hand auf Professor Ferreris Schulter, der sich wieder neben ihn gesetzt hatte.
    »Aber jetzt möchte noch jemand zu Ihnen sprechen.«
    Er näherte sich dem weißen Kasten, warf einen letzten Blick auf seine Zuhörer und drückte auf den roten Knopf.
    Man hörte ein Knistern.
    Das Licht wurde gedimmt.
    Überall im Großen Saal waren über die Lautsprecher ein regelmäßiges Atmen und schließlich eine Stimme zu hören. Eine Stimme aus der Ferne, dumpf, mit österreichischem Akzent. War es Gott selbst – oder ein anderer Gott, der da sprach?
    »Meine Damen und Herren«, begann die Stimme. »Ich danke Ihnen, dass Sie meinem Ruf gefolgt

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