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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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Fortschritt seiner Arbeit ablegen musste. Seit dreißig Jahren war er ein – wenngleich verkannter – Spitzenwissenschaftler, doch Ernst Heinrich gegenüber kam er sich vor wie ein Kind, das auf die Strafe des Lehrers wartet, weil es sein Gedicht nicht richtig aufgesagt hat. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ins Hemd lief. Gewiss, die vier Wissenschaftler waren nicht zu halten gewesen, als sich ihnen die Gelegenheit bot, ihre Experimente bis zum Ende durchzuziehen. Gleichzeitig war ihnen jedoch klar, dass Ernst Heinrich ihr Schicksal in der Hand hatte und ein Wort von ihm ausreichte, um sie für den Rest ihrer Tage hinter Schloss und Riegel verschwinden zu lassen. Und nichts anderes würde sie erwarten, wenn man ihnen auf die Schliche kam. Sie hatten nur dann eine Aussicht auf eine bessere Zukunft, wenn Ernst Heinrich sie schützte und sie Erfolg hatten.
    Der Koreaner lächelte bemüht.
    »Natürlich. Ich verstehe, unsere Teams arbeiten zwanzig Stunden am Tag…«
    »Aber unsere Tage sind gezählt. Sie wissen, was ich meine, mein guter Li-Wonk. Und das müsste, glaube ich, neben der hohen Vergütung, die Sie erhalten, alle anderen Überlegungen in den Schatten stellen. Insbesondere solche über die Arbeitszeit. Tun Sie mir den Gefallen, lassen Sie uns ein anderes Mal sozialrechtliche Fragen erörtern.«
    »Aber gewiss doch«, beeilte sich der Koreaner zuzustimmen. Er fuhr sich mit dem Finger in den Kragen, als schnitte der ihm die Luft ab, und sah seine Kollegen an, die nicht weit von ihm entfernt standen. »Seien Sie versichert, dass wir mit höchster Kraft arbeiten.«
    Über Ernst Heinrich kursierten die wildesten Gerüchte. Niemand wusste, wie sein Name wirklich lautete, selbst die Wissenschaftler im Zentrum am Sinai nicht. Nur dass er aus Österreich stammte, schien ziemlich sicher zu sein. Es wurde behauptet, er sei Milliardär und habe sein Vermögen mit pharmazeutischen Produkten gemacht. Es hieß aber auch, hinter seinem Pseudonym verberge sich eine wichtige politische Persönlichkeit aus Österreich, die noch im Amt sei und der extremen Rechten nahestehe. Am häufigsten hörte man, er sei der Sohn eines verstorbenen Nazi-Offiziers. Der soll an den kalten Winterabenden in Wien seinem Sprössling alles über die heilige Lanze erzählt haben. Sofern er nicht doch von einem Waffenhändler abstammte und von ihm sein großes Vermögen hatte, das ihm, laut der Zeitschrift Forbes, einen Platz unter den zehn reichsten Männern der Welt sicherte, unter einem anderen Namen natürlich. Von seinem Taschengeld finanziere er archäologische Grabungen. Er konnte aber ebenso gut ein Schizophrener sein, ein Anhänger Adam Crowleys und der geheimnisvollen Sekte Golden Dawn, für die sich einst Hitler begeisterte. Oder aber der reiche Erbe englischer Lords, griechischer Waffenhändler oder der Zaren…
    So oder so ähnlich lauteten die Geschichten, die sich um Ernst Heinrich rankten, und alle waren sie reichlich phantastisch. Aber vielleicht enthielt auch jede ein Körnchen Wahrheit, aus denen man ein Porträt zusammensetzen konnte. Aber bisher hatte der Mann mit den hundert Gesichtern niemanden an sich herangelassen. Er hatte sich vielmehr zu einem Mythos gemacht, einer Art düsterem Leviathan.
    »Wie weit sind der israelische Geheimdienst und der Vatikan?«, fragte der Koreaner.
    Es dauerte eine Weile, bis sich die Stimme wieder vernehmen ließ. Ein Knistern war zu hören. Es war eine gesicherte Verbindung. Endlich sagte Ernst Heinrich:
    »Das geht Sie gar nichts an, Professor Li-Wonk. Ich bin erstaunt über Ihre Kühnheit. Kümmern Sie sich um Ihre Arbeit, ich erledige die meine. Und vergessen Sie nicht: Sie werden überwacht.«
    Park Li-Wonk fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er fuhr sich ein weiteres Mal mit dem Finger unter seinen Kragen. Dann hob er den Blick zu der Kamera in der Ecke des Saals.
    Man hatte sich das noch vorhandene Überwachungssystem zunutze gemacht und dreißig Geräte installiert. Alle wichtigen Bereiche der Abteilungen, vor allem der Große Saal, die Labors und Büros, wurden aus allen Winkeln beobachtet. Es war unmöglich, dem Auge des Großen Bruders zu entkommen. Der Wissenschaftler wusste, der große Manitu von Axus Mundi ließ sich nicht täuschen, und die Vorstellung, ihn ständig im Nacken zu haben, machte dem Koreaner zu schaffen.
    »Gewiss, Entschuldigung«, sagte er mit gequälter Stimme. »Übrigens, was die…«
    Da ertönte das Besetztzeichen. Der Große Bruder hatte das Gespräch

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