Die Lanze des Herrn
nervös wirkende Koreaner warf rasch einen Blick auf den Kasten.
Dann räusperte er sich, sagte die üblichen Einleitungsworte und begann.
»Die ersten Proben wurden gleich nach Auffinden der Lanze von dem Archäologen Damien Seltzner genommen. Nicht unter den besten Bedingungen, um es vorsichtig auszudrücken. Wir haben seine Arbeit ergänzt. Wir haben das fossilierte Harz entfernt, das sich durch die Zersetzung der Pflanzen um die Spitze gebildet hatte, und Aufnahmen gemacht. Des Weiteren haben wir das Eisen der Lanze infraroter und ultravioletter Strahlung ausgesetzt, ebenso die Fasern, die darum gewickelt waren. Wir haben die Lanze äußerst gründlich untersucht, auch die Reste des Schafts, um Staubteile und Ablagerungen zu sammeln. Das Wüstenklima, die Kälte in der Grotte sowie der Sand haben dazu beigetragen, die Lanze so gut zu konservieren, wie wir es uns erhofft hatten, um tätig werden zu können.«
Er räusperte sich.
»Wie Sie sich denken können, haben wir unsere besondere Aufmerksamkeit der Lanzenspitze und ihren einstmals beweglichen Teilen gewidmet. Sie wurden ›gewaschen‹, das heißt, wir haben die Blutproteine mit einer bestimmten Substanz fixiert und konnten so sieben Mikrogramm DNA gewinnen. Die Lymphozyten waren unversehrt; ihr Kern enthält die DNA. Sie befinden sich quasi im Originalzustand dank des vorhandenen Natriumchlorids, das vielleicht aus dem Schweiß Jesu herrührt oder dem Wasser, das zusammen mit dem Blut aus seiner Seite lief, als der Legionär hineinstieß. Die DNA wurde durch molekulare Hybridation erweitert, um ihre Degradation zu kompensieren, und wir haben das Ergebnis abschließend durch Kettenpolymerisierung verbessert. Manche Fragmente wurden durch Lyophilisation reproduziert, damit wir für das Experiment über genügend Material verfügen.«
Professor Li-Wonks Stimme hallte durch das Felsengewölbe. Vor ihm waren ein Tageslichtprojektor sowie ein Laptop aufgebaut. Auf einem großen Bildschirm konnten die Anwesenden das vom Professor ausgewählte Bildmaterial betrachten, das zum Teil aus einfachen Fotos bestand, auf denen die Lanze aus jedem Blickwinkel zu sehen war, zum Teil aus synthetischen Bildern und auch aus PowerPoint-Präsentationen.
»Ich übergebe jetzt das Wort an Professor Sparsons.«
Der junge Amerikaner stand lächelnd auf. Er fuhr sich mit der Hand über sein T-Shirt, schob sich eine Strähne aus dem Gesicht, rückte seine kleine Brille zurecht und wandte sich zum Bildschirm um.
»Yes. Nach unseren ersten Ergebnissen scheint das Blut zur Gruppe AB zu gehören. Damit deckt es sich mit der des Turiner Grabtuchs, der Tunika von Argenteuil und des Schweißtuchs von Oviedo. Mit einem Vorkommen von nur zwei Prozent weltweit ist es heute die seltenste Blutgruppe. Es heißt, je älter das Blut, desto eher gehöre es zu dieser Blutgruppe. Aber das ist ein Märchen, wie Sie wissen. Im Gegenteil, altes Blut verliert seine charakteristischen Eigenschaften und tendiert zur Blutgruppe 0. Ich brauche Sie wohl nicht daran zu erinnern, dass die Blutgruppe AB die einzige ist, bei der man Vater und Mutter bestimmen kann.«
Ein Lächeln auf den Lippen, sah er die Versammelten an und klatschte in die Hände.
»Wenn wir die Identität des biologischen Vaters Christi feststellen, bedeutet das vielleicht das Ende des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis und der Jungfräulichkeit Marias. Es ist übrigens erst lange nach Christus entstanden, erst im siebten Jahrhundert, yes, auf dem Lateranskonzil von 679. Aber selbst wenn ein Y-Chromosom vorhanden sein sollte, muss es noch lange nicht von Joseph sein. Wenn das Chromosom notwendig war, warum sollte der Heilige Geist es bei der Fleischwerdung Gottes nicht mitgebracht haben? Für den Schöpfergott des Universums wäre es im Vergleich zur Erschaffung der Sterne oder des Sonnenfeuers ein bescheidenes Wunder.«
Das Chromosom des Heiligen Geistes.
Einige Zuhörer grinsten. Der Professor fuhr fort:
»Wir haben es offenbar mit einem gewöhnlichen Menschen zu tun, mit X- und Y-Chromosom und einer DNA, die mit der eines sephardischen Juden kompatibel ist. Wir untersuchen noch bestimmte Marker, durch die wir mehr erfahren können. Wir haben auch Pollen gefunden, darunter die eines israelischen Pistazienbusches und sehr alte Spuren von Korn, Glimmer und Sand, da sich die Lanze in der Wüste befand. Der hervorragend erhaltene Schimmel hat die Lanze zwar angegriffen, aber durch ihn können wir unsere Analysen noch verfeinern.
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