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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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bestimmt von großem Nutzen sein.«
    Judith sah Yoris an, und sie grüßten einander noch einmal. Dann atmete sie tief ein und schloss die Wagentür.
    Die Gedanken der jungen Frau überschlugen sich. Der feuerspeiende Drache mit seiner gespaltenen Zunge, der als Jungfrau verkleidete Dämon, der im Halbdunkel der geweihten Kapelle das Kind wiegte, die Blitze von Golgatha, die Pergamente des Longinus, die Schicksalslanze. Pater Fombert entfernte die roten Bänder von den Pergamentkopien und strich die Blätter auf seinen Knien glatt. Judith warf einen Blick über seine Schulter. Die Originale waren empfindlich, so sehr empfindlich, und doch hatten sie die Jahrhunderte überdauert, als wären sie wie eine Flaschenpost in den Ozean der Zeit geworfen worden. Wie waren sie nur bis zu ihnen gelangt? Was war mit dem Testament geschehen, nachdem Longinus es geschrieben hatte?
    Während Fombert Judith von seinen Entdeckungen berichtete, tanzte die winzige dreifache Schrift der Pergamente vor ihren Augen.
    Den Anfang bildete ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium.
    »Denn eine große Not wird über das Land hereinbrechen: Der Zorn (Gottes) wird über dieses Volk kommen.«
     

5. Kapitel
    Alexandria, Corniche und Bibliothek, 2006 Labor Axus Mundi, 2006 Wien, 2006
    Denn eine große Not wird über das Land hereinbrechen: Der Zorn Gottes wird über dieses Volk kommen. Mit scharfem Schwert wird man sie erschlagen, als Gefangene wird man sie in alle Länder verschleppen und Jerusalem wird von den Heiden zertreten werden, bis die Zeiten der Heiden sich erfüllen.
     
    Lukas (21, 23-24)
     
    Judith wandte sich an Pater Fombert auf dem Beifahrersitz:
    »Die Lage ist gespannt«, sagte sie. »Was haben Sie Neues zu berichten?«
    »Die Datierung der verschiedenen Schriften auf den Pergamenten des Longinus stimmt mit unserer Ausgangshypothese überein«, begann dieser. »Ich bin mir inzwischen eines Teils des Wegs, den sie genommen haben, sicher. Ich habe mich noch einmal in die Schriften des Josephus Flavius vertieft, denn er war der oberste General in Galiläa und die rechte Hand des Kaisers während des Aufstands der Juden.«
    Das Auto verließ den Bahnhof von Alexandria, und für ein Gespräch war dies eigentlich nicht der geeignete Moment. Doch weder Judith noch Pater Fombert wollten Zeit verlieren. Judith hörte aufmerksam zu. Sie fühlte sich um 2000 Jahre zurückversetzt. Einen Augenblick lang legte der Pater die Kopien aus der Hand und grub in seinen Dokumenten. Dann hielt er Judith eine Darstellung des römischen Kaisers Titus Flavius Sabinus Vespasianus hin.
    »Mit ihm fing alles an«, sagte Fombert.
    Plötzlich vermeinte Judith die Sonne über der Wüste von Judäa zu spüren, die das Gestein erhitzte, die weißen und ockerfarbenen Felsen zerriss und das Gras auf den Hügeln verbrannte. Vor ihrem inneren Auge erschien auf dem Hintergrund des blauen Himmels das stolze Profil des künftigen Imperators. Auf dem Bild, das Pater Fombert ihr zeigte, ritt Titus in Begleitung von sechshundert Reitern auf Jerusalem zu. Zur Zeit des Aufstands der Juden war er keine dreißig Jahre alt. Er hatte die Wüsten Syriens und Ägyptens durchquert, bevor er seine Truppen in Cäsarea versammelte. Ein Kavalleriekorps rahmte die Kriegsmaschinen ein und ritt vor den Tribunen und Führern der Kohorten einher. Hinter der Sandstraße oberhalb von Jerusalem war das Symbol der Macht Roms, der goldene Adler, zu sehen, der seine Flügel über die Hälfte der bekannten Welt ausbreitete. Prächtig erhob er sich über den Horizont inmitten einer Fülle von Schilden und Trompeten. Die Legionen waren sehr detailliert dargestellt. Die Bataillone marschierten eng gedrängt in Sechserreihen vor den Dienerscharen, den Marketenderinnen und den Handwerkern.
    Judith erinnerte sich daran, wie sie Flavius Josephus gelesen hatte. Er hatte alle wichtigen Ereignisse der Zeit in seinem berühmten Werk Der Jüdische Krieg festgehalten. Pater Fombert breitete eine Rekonstruktion des damaligen Jerusalem aus. Im Herzen der durch drei Mauern geschützten Stadt gab es einen Ring von Stadttoren, die von wunderschönen Säulen getragen wurden. Dazwischen sah man Gärten, Fischbecken, Wasser speiende Bronzefiguren, Volieren mit Tauben über den Häuserreihen, die in der Sonne tanzten. Die goldene Stadt, die ideale Stadt, die Stadt Gottes! In ihrer Mitte das Gebäude, in dem das Herz der Welt zu schlagen schien, der Tempel. Stolz erhob er sich ins Blau, auf seinem prächtigen Fundament

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