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Die Lanze des Herrn

Die Lanze des Herrn

Titel: Die Lanze des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaud Delalande
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Phallus gehorchte dem Dämmer des Schattens, bereit zur Besamung im tiefen Schoß der Mutter, die ihn angstvoll erwartete. Die Leihmutter, die Lanze, die Höhle, das alles war unglaublich, und dennoch wurde aus dem verschwommenen Traum mit jeder Sekunde mehr eine neue harte Realität.
    Heute Morgen, als der erste Streifen der Morgendämmerung am Horizont sichtbar wurde, hatten sich die Hexer die Hand gereicht, mit einem Lächeln, das ihre Anspannung kaum verbarg. Sie waren wie Schatten. Wie Verschwörer kurz vor ihrer Untat. Auch sie spürten, dass die Zeit drängte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis man sie entdeckt hatte. Sie waren nervös und aufgeregt, fast wie Kinder. Sie machten sich gegenseitig Mut.
    Der Moment war gekommen, die Welt aus den Angeln zu heben. Als Professor Li-Wonk, das Gesicht halb hinter seinem Mundschutz verborgen, Elena fragte, wie sie sich fühle, kam ihm ein vor langer Zeit gelesener Text in den Sinn:
    Der Embryo, Keim des Lichts im Schoß seiner Mutter, ist Buddha. Er ist die ägyptische Sonne, er ist Christus, der in Maria heranwächst und in uns allen, vor der Verkündigung der Frohen Botschaft. Der Zeitpunkt Null der kosmischen Uhr, der Zeitpunkt der Erschaffung der Welt vor fünfzehn Milliarden Jahren, das Fiat Lux der Bibel ist poetisch gesehen der Moment der Befruchtung. In den Upanischaden heißt es: Am Anfang war kein Universum. Es begann erst zu existieren. Es ging aus der Dunkelheit und dem Chaos hervor; es kam aus dem Wasser, dem Fruchtwasser, dem Plasma. Am Anfang war Finsternis, alles war Wasser, heißt es im Rigveda. Das Universum lag in der Finsternis, überall war Wasser, es gab kein Morgenrot, keine Helligkeit, kein Licht, lautet eine Überlieferung der Maori. Auch die Huronen haben diese Vorstellung vom Ursprung.
    Graubläuliche Lichtstrahlen durchdrangen nun die Höhle. Die Scheinwerfer über dem Körper der jungen Frau waren eingeschaltet worden. Elena lag da, bereit, die Frucht aufzunehmen, die die Wissenschaftler ihr einpflanzen wollten. Man gab ihr eine Lokalanästhesie. Der Anblick dieser Frau mit den ausgebreiteten Beinen in Erwartung des blasphemischen Vollzugs der Weitergabe künstlichen, durch neue Magie entstandenen Lebens, die Vereinigung der Frau mit der Schicksalslanze, dieser Venushügel, der seine Lippen öffnete, war ein erschreckender Anblick, ewig wie die Nacht der ersten Menschen. Hier war der absolute Knoten vergänglichen Fleisches, zur Verwesung verdammt. Hier war das neu beginnende Leben. Anfang und Ende aller Dinge. Courbets Bild, Der Ursprung der Welt, das verfemte Bild, das angeblich im Büro des Psychoanalytikers Jacques Lacan gehangen hatte, hier war es in Fleisch und Blut, für ein Experiment, das bisher nie versucht worden war.
    Professor Sparsons lächelte hinter seinem Mundschutz. Die junge Frau war nervös. Sie bemühte sich, sein Lächeln zu erwidern. Er wischte Elena über die schweißbedeckte Stirn. Dann suchte der Blick des Amerikaners den des japanischen Professors Yzamata.
    »Anästhesie ausgeführt«, sagte dieser.
    »Alles in Ordnung, Elena?«
    »Ich… ich spüre überhaupt nichts«, bestätigte sie.
    »Mikropipette, bitte.«
Der Italiener Ferreri reichte Professor Yzamata das Instrument, und dieser schob es in die Vagina der jungen Frau bis zum Muttermund. Auf dem Monitor konnte man den Vorgang verfolgen. Der Koreaner legte seinen Mundschutz ab. Er wirkte selig wie ein Erstkommunikant. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, während sich die Pipette in die Gebärmutterschleimhaut vorarbeitete, bereit, das Ei in die innersten Falten der weichen Schleimhäute zu legen. Professor Ferreri war angespannt wie eine Klaviersaite, biss die Zähne aufeinander und kämpfte gegen seine Nervosität an. Professor Sparsons hatte den Mund geöffnet, blickte gebannt auf die Kamera und streichelte noch immer Elenas Stirn. Der Japaner verdoppelte seine Konzentration. Die Ungeduld der vier Professoren hatte ihren Höhepunkt erreicht.
    Ja, das war es, bald… bald würde es so weit sein.
    ♦♦♦
    Frank Duncan machte sich auf seine morgendliche Kontrollrunde. Einen Moment blieb er in der Nähe des Haupteingangs stehen, um eine Zigarette zu rauchen, die Augen auf die staubige Piste gerichtet, die sich in den Bergen des Sinai verlor. Er stand genau an der Stelle, wo er vor einiger Zeit den Lastwagen mit der Lanze in der Ferne entdeckt hatte. Und wie jeden Morgen tauschte er ein oder zwei Witze mit dem wachhabenden Posten aus.
    Wie er von

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