Die Lanze des Herrn
durchbrachen sie mit einem entsetzlichen metallischen Krachen. Die Posten auf den Türmen zielten auf die Eindringlinge und feuerten Salve um Salve auf sie ab. Sie malten staubige Sterne in den Boden und zerfetzten die Planen der Lastwagen.
Die ägyptischen und israelischen Eliteschützen auf den nahegelegenen Bergen versuchten, ihren Truppen beim Aussteigen aus den Jeeps und Militärlastwagen Rückendeckung zu geben. Frank Duncan brüllte seinen Söldnern, die an den verschiedenen Gebäuden des Zentrums postiert waren, Befehle zu. Doch das allgemeine Chaos nahm bald die Dimensionen einer Apokalypse an. Granaten und Tränengasbomben explodierten inmitten des allgemeinen Durcheinanders. Rauch stieg in Spiralen zum Himmel.
Judith sah von oben wie von der Tribüne einer antiken Arena mit weit aufgerissenen Augen auf das grauenvolle Schauspiel. Sie beobachtete die Bewegungen der winzigen Figuren. Die Männer rannten in alle Richtungen, die Waffen spien Feuer, die Lautsprecher brüllten, und plötzlich traf eine Granate einen Vorrat an Propangasflaschen und löste eine weitere, gigantische Explosion aus. Eine Gruppe kämpfender Männer wurde mehrere Meter weit in alle Richtungen geschleudert.
Der Luftstoß der Explosion war so heftig, dass Judith ihn oben auf ihrem Beobachterposten spürte, wo sie bei Anselmo und der Einsatzleitung saß. Es schnürte ihr die Kehle zu. Als sich der Rauch verzogen hatte, sah sie, dass die Wände eines der Gebäude verschwunden waren und man hineinsehen konnte. Die Söldner von Axus Mundi zogen sich zurück, die Sturmtruppen liefen auf das Hauptgebäude zu, wobei sie einzelne Gegner ins Visier nahmen und töteten. Einer der Wachtürme stand in Flammen. Vom Ostturm stürzte ein Wächter, von einem israelischen Scharfschützen in die Stirn getroffen, fünfzehn Meter in die Tiefe.
Judith war übel. Sie wandte sich dem Hauptmann zu, der immer noch seine Befehle schrie, ohne das Geschehen eine Sekunde aus den Augen zu verlieren.
Um die Gebäude herum schien sich die Lage für einen Augenblick beruhigt zu haben. Dumpfe Geräusche drangen nun aus den Tiefen der Erde, sodass man sich einbilden konnte, die Grundmauern der noch stehenden Gebäude des Zentrums beben zu sehen.
Alle warteten.
Nach einigen Minuten hörte man eine Stimme aus dem Funkgerät in Judiths Nähe.
»Bravo neun? Gelände erfolgreich gestürmt. Ich wiederhole: Gelände erfolgreich gestürmt.«
Sofort richtete Judith sich auf. Sie sah den Hauptmann an. Er ließ ein paar Minuten verstreichen und sagte dann:
»Sie können jetzt losgehen.«
Frank Duncan erwischte es, als seine Männer sich zurückzogen. Er schleppte sich in den Raum mit der einseitig verspiegelten Scheibe, in dem der Rechner des Amerikaners stand. Er blutete heftig aus der Seite. Ironie des Schicksals, denn genau an dieser Stelle hatte er Enrique Guzbert getötet. Der Sicherheitschef litt entsetzlich. Die Kugel hatte offenbar seinen Magen durchschlagen. Hätte er nicht so starke Schmerzen gehabt, hätte er vor Bitterkeit laut gelacht.
Sein Gesicht war schweißbedeckt, sein Hemd und seine Handflächen feucht, und er hielt zitternd seinen Revolver fest, halb sitzend, halb stehend gegen die Wand gelehnt zwischen dem Monitor, dem Schreibtisch und der magnetischen Tür. Er atmete schwer. Jeder Atemzug bereitete ihm Qualen. Ein Tag, ein Tag zu lange, dachte er, der Bewusstlosigkeit nahe. Sollte er wirklich hier sterben, in diesem Gewölbe unter der Wüste? Das war absurd, derart absurd! Da hörte er den riesigen Aufzug von oben nach unten fahren. Er hörte auch Schüsse und Schreie. Durch die nur in eine Richtung durchsichtige Scheibe sah er einen bewaffneten Soldaten mit Helm vorbeigehen. Er konnte nicht hier bleiben, er konnte nicht hier herumsitzen und warten, bis er tot umfiel!
Mit einer übermenschlichen Anstrengung, die blutige Hand auf den Schreibtisch gestützt, zog er sich langsam hoch, den Rücken an die Wand gepresst. Axus Mundi… Guzbert hatte recht gehabt. Das waren Verrückte. Warum nur hatte er diesen wahnsinnigen Auftrag angenommen? Warum nur hatte er damit sein Schicksal besiegelt? In nur wenigen Minuten hatte man das gesamte Zentrum gestürmt. Einer solchen Übermacht waren sie nicht gewachsen gewesen. Er hatte es übrigens immer gewusst. Bei so ungünstigen Voraussetzungen nützten selbst Elitesöldner nichts.
Endlich gelang es ihm, halbwegs aufrecht zu stehen. Er schwankte, halb ohnmächtig. Kuriose Bilder tanzten vor seinen Augen. Er
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