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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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bisschen dabei.
    Ich sagte nichts. Da war sie also, die zweite Begegnung mit meinem Traummann, statistisch schon fast im Bereich der Wunder, und ich - ich tat nichts. Er auch nicht.
    Auf der Fahrt zum Supermarkt war ich den Tränen nahe. Wenigstens nach seinem Namen hätte ich fragen können, wenn ich schon sonst nichts tat.
    Dann wüsste ich jetzt, ob er tatsächlich David hieß, denn so hatte ich ihn in Gedanken getauft. Ich wusste bereits alles über David. Er war natürlich unverheiratet, von Beruf Bildhauer oder Journalist, und er wohnte in einem alten Haus mit Garten. Auch das kannte mein inneres Auge, als wär's mein eigener Grund und Boden. Ein riesenhafter Kirschbaum stand dort, an seinen Zweigen hing eine Schaukel an extra langen Seilen. Weiter hinten, umrankt von Rosen und Jasmin, befand sich eine uralte, leicht lädierte Gartenlaube, gleich neben einem Teich, in dem Rothenberger nach Goldfischen angeln konnte. David liebte Katzen über alles, und er spielte Gitarre. Oder Cello. Er könnte seine Hemden selber bügeln und war nicht schwul. Auf gar keinen Fall.
    Als ich zurückkam, war wieder mal kein Parkplatz frei, in der ganzen verfluchten Straße nicht. Ich musste auf dem Bürgersteig parken und meine Einkäufe fünfzig Meter weit durch den fiesen Herbstregen tragen: einen 20-Liter-Sack Katzenstreu, den überquellenden Einkaufskorb und einen Zehnerpack Klopapier in einem einzigartigen Kraft- und Balanceakt.
    Vor der Haustür stieß ich auf unseren schnauzbärtigen Hausmeister. »Kann isch helfen?«
    »O ja«, ächzte ich erleichtert und lächelte ihn dankbar an.
    Aber ich hatte mich zu früh gefreut. Der gute Mann nahm mir lediglich die Klopapierrollen ab, die ich mir unter den linken Arm geklemmt hatte. Dann wartete er geduldig, bis ich die Haustür aufgeschlossen und Korb und Katzenstreu wieder richtig im Griff hatte, um den Aufstieg in den ersten Stock anzutreten.
    »Für so wat sin wir Männer doch da«, meinte er, während er mit seiner Last leichtfüßig vor mir her die Treppe hinaufschritt. Seine ausgeleierte gelbe Jogginghose hing wie üblich ziemlich tief, sodass ich den oberen Teil seiner Pobacken sehen konnte,
    »'sch mein', wozu sin denn sonst unsere janzen Muskeln jut?«
    Ich dachte eine Sekunde ernsthaft über eine Antwort nach. Oberflächlich betrachtet konnte man bei meinem Klopapierkavalier eigentlich nichts Muskelähnliches erkennen. Aber was, wenn nicht ein im Verborgenen arbeitender Muskel, bewahrte die ausgeleierte Jogginghose vor dem endgültigen Absturz? Ein Muskel übrigens, für dessen Existenz ich aus tiefstem Herzen dankbar war.
    Vor meiner Wohnungstüre ließ der Hausmeister das Paket sachte abwärts gleiten.
    »Vielen Dank für Ihre große Hilfe«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
    »Keine Ursache«, sagte der Hausmeister bescheiden und klingelte an seiner eigenen Wohnungstüre. »So wat is doch sälpsverständlisch unter Nachbarn.«
    Rothenberger war von seinem Streifzug zurückge-kehrt, empfing mich mit ungeduldigem Maunzen und schob seinen dicken Kopf in den Einkaufskorb.
    Nach seinem Mittagessen - Katzengalamenü mit Krabben - rollte er sich auf meinem Schoß zusammen und zwang mich so, zwei Stunden in meinem Korbsessel sitzen zu bleiben und über das Leben nachzudenken. Jetzt war ich meinem David schon zweimal begegnet und kannte immer noch nicht seinen richtigen Namen. Ich konnte nur auf eine dritte Gelegenheit warten und mich so lange mit Tagträumen über Wasser halten. Aber ich ahnte, dass bis dahin einige Zeit vergehen würde, und so versuchte ich, noch am selben Nachmittag klare Verhältnisse in mein Leben zu bringen.
    »Ich liebe dich nicht mehr«, sagte ich zu Till, als er kam, um seine Neoprenhandschuhe abzuholen.
    »Hast du was zu essen da?«, erwiderte er. »Ich komme um vor Hunger. Und hast du die
    Handschuhe gekriegt?«

    »Ich liebe einen anderen«, fuhr ich fort. Ich wollte ihn nicht unnötig kränken, aber ein paar Tränen in seinen Augen hätten mir an diesem Tag gut getan.
    Aber Till begutachtete seine neuen Handschuhe und machte keinerlei Anstalten, Tränen zu vergießen.
    »Wer ist es?«, wollte er immerhin wissen.
    Ich hob die Schultern. »Seinen Namen kenne ich nicht. Noch nicht. Aber das ist ja auch nicht so wichtig.«
    Till sah leicht irritiert aus. »Für mich vielleicht nicht«, sagte er. »Aber du solltest ihn schon kennen, finde ich.«
    »Darum geht es ja hier gar nicht. Ich möchte unsere Beziehung beenden, weil ich nicht mehr

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