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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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habe ich ganz genau verglichen: Es steht eine ganz andere Marke auf dem angenähten Etikett. Und dann habe ich im Katalog nachgesehen, aber da ist die Decke abgebildet, die ich beim ersten Mal geliefert bekommen habe.«
    Ich identifizierte die Pferdedecke blitzschnell als Artikelnummer 324567 blau gesteppt mit roter Einfassung,
    atmungsaktives Material. Da hatte ich wochenlang nichts anderes gehört, als dass dies ein Großhandel sei und daher nur Waren in größeren Mengen abgegeben werden konnten, und jetzt hatte ein einziges Mädchen eine einzige Pferdedecke für ihr einziges Pferd bestellt. Aber sicher war dies eine logisch erklärbare Ausnahme, weil der Vater ja eine Firma besaß, die im letzten Jahr viele, viele gelbe Reitgerten gekauft hatte. Bei so einem guten Kunden musste man gewisse Ausnahmen machen.
    Das war Firmenpolitik, das sah ich auch sofort ein.
    Resolut nahm ich dem Mädchen die Decke aus der Hand und sagte: »Am besten gehen wir gleich hinunter ins Lager und schauen nach, ob die richtige Pferdedecke dort vorrätig ist. Dann regeln wir das ganz unkompliziert, und Sie können gleich mal sehen, wie es bei uns im Lager zugeht.«
    Wie erwartet waren meine Gäste von den riesigen vier Meter hohen Regalen, voll gestopft mit Reitstiefeln und Trensen, sehr beeindruckt. Sie legten sofort ihre Köpfe in den Nacken und staunten.
    »Schauen Sie sich ruhig um«, sagte ich aufgeräumt. »Dort hinten ist etwas ganz Neues zu sehen, nämlich unsere Pferdebälle. Wir sind die ersten Anbieter auf dem deutschen Markt. Ich bin gleich wieder da und erkläre Ihnen, was es damit auf sich hat.«
    Die Araber bedankten sich mit einem Lächeln.
    Nach Herrn Simmel ohne P musste ich nicht lange suchen. Ich hörte ihn schon von weitem brüllen.
    »Wat iss denn dat widder für 'ne Bockmist?«, schrie er aufgebracht.
    Ich beeilte mich, dem Klang seiner Stimme nachzugehen. Da stand er rotbackig und feist in seinem blauen
    Kittel, und vor ihm eine dunkeläugige Frau, die sich ängstlich duckte.

    »Ich nicht wissen«, sagte sie.
    »Du nischt wissen, du nischt wissen«, brüllte Herr Simmel und schlug mit der Faust auf in Plastikfolie eingeschweißte Bandagen. »Du gar nischts wissen!
    Vier verschiedene Farben in eine Tüte zu packen! So wat Däm- lisches! Wenn du zu doof bist für den Job, geh doch wieder hin, wo du hergekommen bist.«
    »Ich nicht wissen«, beteuerte die Frau verschüchtert und zeigte auf die Bandagen. »Mir niemand sagen, wie verpacken!«
    »Dat muss man ja auch nischt extra noch sagen«, brüllte Herr Simmel. »Iss doch ganz klar. Wenn du auch nur für zwei Pfennige Verstand in der Ausländerbirne hättest, wüssteste, dat immer vier gleische Farben in eine Tüte jehören. Ein Pferd hat ja wohl vier Beine, oder nischt?«
    »Ich nicht wissen«, sagte die Frau.
    »Alles noch mal machen«, schrie Herr Simmel.
    »Wenn dat heute Abend nischt rischtisch iss, dann kannste deine Sachen packen und zurück nach Istam- bul, iss dat klar?«
    Die Frau begann, leise vor sich hin schluchzend, die eingeschweißten Bandagen wieder

auszupacken.
    »Herr Simmel?« Das Empfangsdamenlächeln war in meinem Gesicht leicht festgefroren.
    »Ach, nee, dat kleine Frolleinschen vom kleinen Chef.« Herr Simmel schien sich zu freuen. »Ich hab'
    hier so einen Ärger mit den Ausländern, schlimm.
    Aber andere kriegste ja nicht für so wat. Die wollen dann alle immer gleich so viel Jälld sehn, ne!«
    »Es geht um diese Pferdedecke«, sagte ich kühl und hielt ihm das gute Stück unter die Nase. »Die Kundin
    sagt, das wäre eine ganz andere als die, die sie vor einem Jahr bestellt hat.«
    Herr Simmel fand das nicht weiter erstaunlich.
    »Ja, und?«, fragte er.
    »Ja und, das ist die falsche Decke«, sagte ich. »Die Kundin hätte gern wieder die, die sie beim ersten Mal auch hatte. Diese hier passt dem Pferd gar nicht.«
    Herr Simmel ohne P zog die Decke auseinander. Ich berichtete Herrn Simmel, was ich über Laurence von Arabien und das Herstelleretikett wusste. »Ist ja auch ein ganz anderes Etikett dran als im Katalog abgebildet.«
    »Jaja«, sagte Herr Simmel ohne P. »Das ist aber die gleiche Decke, nur von einem anderen Hersteller.
    Deshalb hat sie ja auch die gleiche Artikelnummer.«
    Ich erkannte, dass ich so nicht weiterkam. »Und wenn Sie mal nachschauen, ob die andere Decke noch auf Lager ist, die vom ersten Hersteller? Die, die dem Pferd passte?«
    »Nee, da brauch' ich nicht nachzugucken«, sagte Herr Simmel ohne P. »Die andere

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