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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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lächelnd. Und dann setzte ich ihr den ganzen Sachverhalt auseinander. Wie diese Pferdedecke, die Laurence dem Araber nicht gepasst hatte, beinahe die hervorragenden Geschäftsverbindungen der Firma Hoppe mit Nabadidi Inc. zerstört hatte und dass nun die sieben Mark fünfundneunzig, die der Führstrick kostete, einfach mit den zweihundertundzehn Mark, die wir dem Kunden'wegen der Pferdedecke schuldeten, verrechnet werden könnten. Oder aber mit der nächsten Bestellung, die in allernächster Zeit einträfe.
    »Über vierhundert Paar Stiefel!«, jubilierte ich.
    »Sind wir hier ein türkischer Bazar?«, fragte Frau Stattelmann und sah mich sehr streng an.
    Ich hielt die Frage für rein rhetorisch und legte Frau Stattelmann die Kopien auf den Tisch.
    »Ob das hier ein türkischer Bazar ist, hatte ich Sie gefragt«, wiederholte die Stattelmann beinahe schreiend.
    »Nein«, antwortete ich eingeschüchtert.
    »Dann frage ich Sie, was Ihnen denn einfällt, hier einfach so herumzumaniküren! Das ist doch wirklich die Höhe!«
    »Wenn ich die Leute jetzt noch mit solchen Formalitäten belästigt hätte, dann hätten wir jetzt einen Kunden weniger«, wagte ich zu meiner Verteidigung vorzubringen. »Verstehen Sie das denn nicht?«
    ».Ich verstehe alles«, behauptete die Stattelmann.
    »Sie sind es, die hier noch viel lernen muss.«
    »Ja«, sagte ich, empört über so viel Ungerechtigkeit.
    »Offensichtlich, dass Teamwork für Sie ein Fremdwort ist.« Und nicht nur Teamwork, setzte ich in Gedanken hinzu, als ich den Raum verließ.
    Die übrigen Kopien brachte ich hinab ins Lager zu Herrn Simmel ohne P. Die kleine dunkeläugige Frau war dabei, die Bandagen wieder in Folie einzuschweißen, diesmal nach Farben sortiert. Sie weinte noch immer.
    »Ich nicht wissen«, sagte sie zu mir. »Niemand mich erklären.«
    »Woher sollten Sie auch?«, sagte ich mitleidig.
    »Wenn es Ihnen doch niemand erklärt hat.«
    »Mann schreit immer«, erklärte mir die Frau. »Immer mir. Jeden Tag.«
    »Der ist doch ein Prolet«, sagte ich zu ihr.
    Die Frau kannte das Wort nicht.
    »Ein minderbemittelter Blödmann«, ergänzte ich.
    »Herr Simmel ist ein richtiger Blödmann.«
    Da lächelte die Frau. »Und impotentes Sackgesicht«, sagte sie.
    Ich fand das Sackgesicht in der anderen Ecke des Lagers.
    »Isch habbet schon jehört«, sagte er schadenfroh.
    »Da hat man Ihnen ganz schön den hübschen Kopf gewaschen, wat?«
    »Nicht, dass ich wüsste«, entgegnete ich kühl und reichte ihm die Kopien. »Im Gegenteil: Ich habe soeben einen Auftrag über vierhundert Paar Reitstiefel gerettet.« Das konnte man gar nicht oft genug sagen!
    Aber Herr Simmel ohne P schenkte meinen Worten keine Beachtung. »Da müssen Sie noch viel lernen, Frolleinschen, wat? So wat bringen die einem beim Studieren nischt bei, nur, wie man seine Nase schön hoch träscht, wat?«
    Die zwölfte Gelegenheit
    Durch die Pferdedeckengeschichte war so viel Arbeit liegen geblieben, dass ich zwei Überstunden machen musste, um mit den Bestellungen nachzukommen. Anschließend fuhr ich gleich in den Dornröschenweg, um den Mietvertrag zu unterschreiben.
    Die Haustüre war nur angelehnt. Ich klopfte an, bevor ich eintrat, aber niemand antwortete. Im Flur empfing mich die mittlerweile vertraute Geruchsmischung aus Knoblauch, Kaffee und kompostierbaren Windeln - und Wiebke.
    »Ach, du bist das«, sagte sie. »Sei bitte leise, Sara schläft schon.«
    »Wo sind denn die anderen?«
    Wiebke zeigte auf die Wöhnzimmertüre. »Sie kümmern sich wieder mal nur um Britt. Vielleicht kommst du besser später noch mal wieder.«
    Hinter ihr öffnete sich die Tür und Sara stand auf der Schwelle.
    »Arm!«, sagte sie zu mir.
    »Ach, Scheiße, jetzt hast du sie geweckt«, sagte Wiebke, schob Sara zurück ins Zimmer und schloss die Tür von innen.
    Ich wartete einen Augenblick, aber sie kam nicht wieder. Im Dämmerlicht sah ich jetzt einen Koffer stehen, daneben einen kamelfarbenen Mantel und einen Plüschbären, achtlos auf den Boden geworfen. Es war ein fei
    ner lederner Koffer mit Metallbeschlägen, den ich schon einmal gesehen hatte. Britts Koffer.
    Mir schwante Böses. Dennoch wagte ich mich weiter vor, öffnete die Tür zum Wohnzimmer und sagte laut: »Hallo!«

    Auf dem Sofa vor dem Kamin unter einem besonders groß dimensionierten Scheiße-Graffiti saß Britt. Sie hatte sich in die Embryostellung gerollt und hielt ein Kissen an die Brust gedrückt.
    Ihre Haare waren zerzaust, das Gesicht

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