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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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nicht zu spät nach -«

Sie stockte.
    Mein Vater lachte etwas gezwungen. »Das wird uns sicher noch öfter passieren«, sagte er. »So schnell gewöhnt man sich nicht daran, plötzlich eine erwachsene Tochter im Haus zu haben.«
    »Ja«, sagte ich. Ich würde mich auch niemals daran gewöhnen. »Ich komme trotzdem nicht zu spät.«
    Ollie wohnte in der Innenstadt, und ich musste mindestens fünfmal um den Block fahren, bevor ich eine Parklücke fand.
    »Ich habe den ganzen Nachmittag aufgeräumt«, behauptete Ollie, als er mir die Tür öffnete. »Aber vielleicht wirst du es immer noch etwas unordentlich finden.«
    Da hatte er Recht. Angesichts der herumliegenden Klamottenberge und leer gegessenen
    Joghurtbecher, in denen noch diverse Löffel voll bröckligem Joghurt steckten, mochte man sich kaum vorstellen, wie es vorher ausgesehen hatte.
    Ollie kam gleich zur Sache. Er stellte mich vor eine weiße Leinwand und tauchte den Raum mithilfe beschirmter Lampen in gleißend helles Licht.
    »Ich habe neulich assistiert, bei dem Fotografen, der unseren Kanzler für die Wahlkampagnen ablichtet«, berichtete er beiläufig. »Ich durfte unserem Kanzler den Belichtungsmesser an die Backe halten.«
    »Das war sicher toll«, sagte ich und zog unauffällig die Haut an meinen Wangen ein, als Ollie mir den Belichtungsmesser ans Gesicht hielt.
    »Wir brauchen Puder«, sagte er.
    »Ich bin so dick gepudert wie noch nie in meinem Leben«, erklärte ich, aber Ollie holte trotzdem eine vergammelte Dose und einen staubigen Pinsel aus seinem Fotoköfferchen.
    Ich hatte ein wenig Bedenken, als er mich damit bestäubte - man konnte schließlich nicht wissen, an wessen Wange Pinsel und Puder schon geklebt hatten -, beruhigte mich aber mit der Tatsache, dass keine Bakterie die dicke Make-up-Schicht zu durchdringen in der Lage war, mit der ich mein Gesicht bereits bedeckt hatte.

    Ollie stakte durch die Müllberge ans andere Ende des Raumes. Dort stand seine Kamera auf einem Stativ. Es war ein angenehmes Gefühl, das Objektiv und den
    Fotografen so weit weg zu wissen. Man war irgendwie ungehemmter auf diese Distanz.
    »Und jetzt guck mal so, wie du auf den Personalchef wirken willst«, verlangte Ollie.
    Ich versuchte also, gleichzeitig kompetent und kreativ, teamfähig und zuverlässig, ehrlich und loyal zu gucken. Ollie betätigte den Auslöser.
    Als der Film ungefähr zur Hälfte voll war, wagte ich auch mal ein Lächeln.
    »Gut«, fand Ollie. »Das wirkt irgendwie optimistisch.«
    Dass ich derzeit optimistisch wirken könnte, hielt ich zwar für ausgeschlossen, aber ich lächelte dennoch tapfer weiter. Nach sechs Minuten war der Film voll.
    »Sollen wir noch einen verschießen?«, fragte Ollie.
    »Was meinst du denn? Waren die bis jetzt gut?«
    »Ich denke doch«, sagte Ollie.
    »Dann lassen wir das mit dem zweiten Film«, meinte ich. »Es wird schon ein Foto dabei sein, was sich eignet.«
    »Ja, dann«, sagte Ollie und schaltete .die Lampen wieder aus. Übrig blieb nur eine kleine verstaubte Funzel in der Ecke, deren spärliches Licht den Raum irgendwie verschönte.
    »Du hast nicht zufällig noch Lust, ein Glas Wein zu trinken?«
    Doch, hatte ich, und Zeit ohne Ende. Ich schob ein paar Jacken und Hosen zur Seite und setzte mich auf Ollies Sofa. Ollie holte den Wein und zwei Gläser. Dann schob er seine Klamotten noch ein Stückchen weiter und setzte sich neben mich.
    »Erzähl mal«, sagte er. »Was gibt's Neues?«
    »Im Wesentlichen nichts«, sagte ich. »Und bei dir?
    Hast du noch mal was von Heinz-Peter und Konsorten gehört?«
    Ollie sagte, dass er die aus seinem Gedächtnis gestrichen habe. »Ich weiß nicht mal mehr Heinz-Peters Nachnamen«, erklärte er.
    »Sicher irgendwas mit A«, meinte ich, und da lachte Ollie und legte seinen Arm um meine Schulter.
    »Mit dir kann man so unheimlich viel Spaß haben«, sagte er. »Hölle, bist du aber verspannt.«
    »Ja«, gab ich zu und hob meine Schultern. »Das kommt vom ewigen Sitzen vor dem Computer.«
    Ollie begann, meinen Nacken zu massieren. Ich fand das sehr nett von ihm. Aber nach einer Weile fand ich, dass es jetzt genug sei.
    »Das tut gut«, sagte ich. »Jetzt werde ich viel gelöster nach Hause fahren.«
    »Erst bin ich aber dran«, meinte Ollie, und ehe ich mich's versah, streifte er sein Sweatshirt ab, klappte die Rücklehne des Sofas herab und warf sich bäuchlings auf das Polster.
    »Bei mir ist es auch der Nacken«, murmelte er in die Matratze. »Total verspannt.«
    Ich

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