Die Laufmasche
Seitensprungs.« Das durfte doch nicht wahr sein!
Ich zog es vor, mich zu verabschieden.
»Warte doch mal«, sagte Erik, aber ich tat, als hörte ich ihn nicht mehr. Man darf der eigenen Fantasie nicht zu viel Realität zumuten. Erik und Britt und die Aufarbeitung eines Seitensprungs waren mehr, als meine Fantasie vertragen konnte.
Auf dem Weg zur S-Bahn ließ
ich meinen Tränen freien Lauf. Niemandem fiel das unangenehm auf. Ein Erkältungsgesicht unterscheidet sich nicht wesentlich von einem Liebeskummergesicht. Schniefend beschloss ich, Erik ein für allemal aus meinem Herzen zu reißen.
Am Bahnhof verspürte ich unbändigen Hunger auf Eis am Stil. Ich musste dazu meinen letzten Zwanzig- Mark-Schein anbrechen, aber der war aus der Innentasche meines Mantels verschwunden.
Seinen Weg durch das halbe Innenfutter verfolgend, fand ich stattdessen Carolines Kettenbrief wieder.
Er hatte die ganze Zeit dort geruht, so was Komisches. Ich durfte nicht vergessen, Beate anzurufen, damit sie dem Fluch ein Ende bereiten konnte.
Über Weihnachten war ich ganz allein. Meine Eltern waren mit meiner Oma und dem »Idioten« im Gepäck in St. Moritz, Nina verreiste mit Mann, Tochter und Schwiegermutter nach Tirol, Till war mit dem Skiclub und seiner neuen Freundin in Frankreich unterwegs, Beate fuhr über die Feiertage zu ihrer Familie nach Erfurt, und sonst kannte ich keinen, mit dem ich gern Weihnachten gefeiert hätte.
Mir war auch ganz und gar nicht weihnachtlich zumute.
Bei Hoppe und Partner hatte jemand mit Sinn für Humor im Gemeinschaftsraum einen Tannenbaum aufgestellt und mit den Produkten der Firma geschmückt. Bunte Sattelschnurengurte statt Lametta, Perlonkardätschen und Steigbügel statt Kugeln, Stirnbänder aus der Diamantkollektion und Perlonlongierbrillen anstelle von Goldpapierketten.
Und statt eines Weihnachtsengels an der Spitze der Military-Reithelm, Artikelnummer 2345/54.
Bei der Weihnachtsfeier am Tag vor Heiligabend setzte ich mich so hin, dass ich dem Baum den Rücken zuwenden konnte. Dafür saß mir Kernig gegenüber. Er war auffallend gut gelaunt und zwinkerte mir von Zeit zu Zeit verschwörerisch zu.
Die gesamte Vertriebsabteilung war per Rundschreiben zur heutigen Feier gebeten worden.
Von den Mitarbeitern aus dem Lager hatte man nur Herrn Sim- mel als Leiter eingeladen. Die anderen durften sich getrennt von uns amüsieren. Auf dem Tisch hatten Frau Müller-Seitz und Frau Saalbach-kann-sich-selbst- verarschen allerlei Süßigkeiten angerichtet, und für die entsprechende Hintergrundmusik sorgte eine Kassette mit Weihnachtsliedern, gesungen von einem Knabenchor.
Das war mehr, als ein normaler Mensch ertragen konnte.
Ich stopfte mich mit den Aldi-Marzipankartoffeln voll, die unser Oberboss Wölf zur festlichen Verpflegung beigesteuert hatte. Er selber war nicht erschienen.
»Wer weiß denn, warum eine Blondine einen dreieckigen Sarg braucht?«, fragte Kernig.
»Weil sie - hahaha - weil sie im Liegen immer die Beine breit macht«, wusste Herr Simmel ohne P.
Er und Kernig lachten sich einen Ast.
»Was ist eine Blondine, die auf dem Kopf steht?«
Herr Simmel wusste auch das. Es schien allerdings etwas besonders Geschmackloses zu sein, denn er flüsterte Kernig des Rätsels Lösung ins Ohr.
»Jaja«, kicherte Kernig vergnügt. »Und was ist der Unterschied zwischen einem Gewehr und einer Blondine?«
Herr Simmel war wirklich preisverdächtig gut auf dem Gebiet der Blondinenwitze. »Gar keiner.« Vor Lachen konnte er nicht mehr weitersprechen.
»Beide kann man - hahahaha - beide kann man knicken und - ha- hahaha, ich geh' kaputt - von hinten laden!«
Kernig und er lachten sich schlapp, der Rest grinste nicht mal müde. Dabei war außer mir und Frau Stattelmann keiner blond. Beate versuchte zum wiederholten Mal, ein normales Gespräch in Gang zu bringen.
»Und der Unterschied zwischen einer Blondine und Tetra-Pack?«, blökte Klausi vergnügt dazwischen.
Die Marzipankartoffeln waren alle, und ich musste mich wohl oder übel über die gefüllten Lebkuchenherzen hermachen.
»Ich fürchte, unseren Damen gefallen meine Witze nicht«, sagte Kernig und lachte saublöd. »Ob das an der Haarfarbe liegt?«
»Ich fühle mich nicht angesprochen«, beeilte sich die Stattelmann zu sagen. »In echt bin ich so mittelbraun. Da mach' ich kein Myom draus, um das ich groß herummaniküren müsste.«
Was sie nicht sagte.
»Ich kenn' da noch 'nen Witz«, kündigte Kernig an und zwinkerte mir zu. »Geht
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