Die Laufmasche
kannst du im Flur neben deinem Zimmer eine kleine Kochzeile installieren«, teilte mir meine Mutter mit. »Dein Vater hat gesagt, dafür muss nur ein Starkstromanschluss gelegt werden.«
»Das lohnt sich doch nicht«, sagte ich. »In ein paar Wochen werde ich eine andere Wohnung gefunden haben.«
»Ja, natürlich, Schätzchen«, sagte meine Mutter so nachgiebig und sanft, als würde sie mit einer Geisteskranken sprechen.
»Ich möchte auch einen anderen Job«, erklärte ich. »Ich halte das einfach nicht mehr aus bei Hoppe.«
Meine Eltern tauschten einen besorgten Blick.
»Du arbeitest gerade mal zwei Wochen da«, sagte mein Vater vorsichtig. »Meinst du nicht, du bist ein bisschen voreilig?«
»Nein«, sagte ich. »Ich will einen anderen Job.
Einen richtigen. Einen mit einem netten, normalen Chef, der meine Arbeit wertschätzt.«
»Das verstehen wir ja«, meinte meine Mutter.
»Aber wenn er dich nur lange genug kennt, wird er schon merken, was er an dir hat. Und dann macht dir die Arbeit auch Spaß.«
»Nein«, sagte ich. »Ich wäre in spätestens einem halben Jahr reif für die geschlossene Anstalt.
Artikelnummer 111390, Steigbügelriemen, enorm reißfest, mit verstärkten Dornlöchern, formbeständig und pflegeleicht in Braun und Schwarz, und Artikelnummer 674532, der Torgriff mit Feder und Haken aus unserem Weidezaunprogramm. So was den ganzen Tag lang zu hören, macht krank, versteht ihr das denn nicht?«
Meine Eltern schüttelten verständnislos die Köpfe.
»Wo willst du dich denn bewerben?«, fragte mein Vater.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Da kommst du nur vom Regen in die Traufe«, meinte mein Vater mit pädagogisch gerunzelten Augenbrauen. »Vielleicht versuchst du einfach mal herauszufinden, was du am allerliebsten tun würdest.«
»Du meinst, wenn ich freie Jobauswahl hätte?« Ich dachte darüber nach. Sofort hatte ich wieder ein bestimmtes Bild vor Augen: Haus mit Kirschbaum und Schaukel im Garten - und einer rosenumrankten Gartenlaube, in der ich sitzen und über das Leben nachdenken würde.
»Na?«, fragte mein Vater.
»Nichts«, seufzte ich. »Am allerliebsten würde ich nichts tun.«
Meine Eltern tauschten wieder besorgte Blicke.
»Wenn du dich bewerben willst, dann musst du das natürlich systematisch angehen«, sagte mein Vater schließlich. »Als erstes: Sind deine
Bewerbungsunterlagen vollständig? Und wenn ja, was kann man daran verbessern?«
»Oh, eine Menge«, meinte ich. »Ich brauche neue Bewerbungsfotos. Auf denen, die ich habe, sehe ich aus wie ein beleidigtes Kommunionskind.«
»Siehst du«, sagte mein Vater. »Mit den Fotos machst du den Anfang!«
Tills alter Kumpel Ollie, der die Saas Fee-Skireise organisiert hatte, betätigte sich als Fotograf, zwar nur hobbymäßig, aber das Ergebnis war in der Regel sehr ansehnlich. Ich beschloss, ihn wegen der Fotos anzurufen.
Ollie war nach dem ersten Klingeln am Telefon.
»Anette? Wir können auch nur kuscheln, wenn du willst.«
»Felicitas«, verbesserte ich. »Und eigentlich wollte ich nicht kuscheln.«
Ollie schwieg zwei Sekunden. Dann hustete er verlegen.
»Ich dachte, du wärst jemand anders«, sagte er.
»Ist Anette deine Freundin?«, erkundigte ich mich neugierig.
»So gut wie«, erwiderte Ollie. »Sagen wir mal, ich arbeite daran. Aber schön, dass du anrufst.«
»Wenn ich dir ungefähr fünfzig Mark gebe, könntest du dann Schwarzweiß-Portraits von mir machen, bis nächste Woche entwickein und Abzüge in Passbildformat herstellen?«, fragte ich in einem Anfall von Geiz.
»Ja, klar«, sagte Ollie begeistert. »Ich habe mir gerade eine neue Fotoleuchte gekauft. Wann kommst du her?«
»Von mir aus jetzt gleich«, schlug ich vor und biss mir im selben Augenblick erschrocken auf die Lippen. Schlimm genug, wenn man an einem Samstagabend nichts Besseres vorhat als Bewerbungsfotos machen zu lassen, noch schlimmer ist es aber wohl, das auch noch offen zuzugeben. Doch Ollie hatte wohl auch nichts Besseres vor. Offenbar rechnete er heute Abend nicht mehr mit Anette.
»Prima!« Er freute sich offensichtlich. »So um sieben?«
»In Ordnung«, sagte ich erleichtert.
Ich wusch mir die Haare und brachte sie mit Mamas Heißluftlockenwicklern richtig in Schwung.
Mit dem Make-up ging ich ebenfalls nicht sparsam um, schließlich kann man für Schwarzweiß-Fotos ruhig ein bisschen dicker auftragen.
»Wie schön, dass du wieder mal unter Leute gehst«, meinte meine Mutter, als ich mich verabschiedete. »Komm aber
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