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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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spät. Er war schätzungsweise Mitte Sechzig, braungebrannt und glatzköpfig und trug ein Goldkett- chen mit einem Sternzeichen-Anhänger um den Hals.
    Kernig schüttelte ihm beide Hände. »Hattest du eine gute Fahrt, Friedhelm?«
    Herr Wierig berichtete von diversen Staus von der Steiermark bis nach Köln. Dabei fiel sein Blick auf mich, die reglos mit Kaffeekanne und
    Pferdeschwanz im Hintergrund stand. Ein Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus.
    »Und wen haben wir da?«
    »Das ist meine neue Assistentin.« Kernig hielt es offenbar nicht für nötig, mich namentlich vorzustellen. »Die andere hat uns
    bedauerlicherweise verlassen.«
    »Was für ein Glück«, meinte Herr Wierig. Er trat näher an mich heran und ging einmal um mich herum. Dann klopfte er mir auf die Schulter und sagte: »Wirklich nicht übel. Diesmal hast du ein gutes Händchen bewiesen, Klaus.«
    Kernig lachte schallend. »Aber dafür kann sie nicht so viel wie die andere«, sagte er und zwinkerte mir zu.
    »Was soll's?« Herr Wierig ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Bei der Oberweite!«
    »Kaffee?«, fragte ich.
    »Bitte, Madel, nur zu.«
    Nachdem ich den Kaffee serviert hatte, wollte ich gehen. Aber Kernig hielt mich zurück.
    »Wir hätten Sie gerne bei dem Gespräch dabei, nicht wahr, Friedhelm?«
    Herr Wierig grunzte zustimmend. Seufzend setzte ich mich an den Tisch und hörte zu, wie Kernig und Herr Wierig die Vor- und Nachteile von Kunststoffsätteln
    gegenüber echt ledernen diskutierten und sich darin einig waren, dass die Kinderreithelme Jennifer und Robin der Verkaufsschlager der nächsten Saison werden würden. Herr Wierig bestellte gleich viertausend Stück davon.
    Erst als es um die neue Wetterjäckchenkollektion ging, war meine Hilfe wieder gefragt. Kernig bestand darauf, dass ich die Sachen am eigenen Leib vorführen und dabei beschreiben sollte, was sie für ein Tragegefühl vermittelten.
    Das erste Wetterjäckchen war dunkelblau und mit einem rot-grün karierten Innenfutter versehen.
    »Und wie fühlst du dich darin, Madel?«, fragte Herr Wierig.
    »Mir persönlich knistert es zu viel«, sagte ich.
    »Und der Reißverschluss geht zu hoch hinauf. Man scheuert sich das Kinn wund.«
    Herr Wierig nickte zustimmend. »Kauf ich nicht«, sagte er zu Kernig, der mir daraufhin einen bösen Blick zuwarf.
    Die nächste Jacke war dunkelgrün und mit weichem braunem Kord gefüttert. Sie hatte eine Kapuze und jede Menge Taschen. Ich äußerte mich lobend zu diesem Modell, und Herr Wierig bestellte prompt fünfhundert Stück. Da lächelte Kernig mich versöhnlich an.
    »Das macht es richtig professionell, das Madel«, meinte Herr Wierig nach einer Weile. »Wie ein echtes Mannequin.«
    »Die haben in der Regel längere Beine«, bemerkte Kernig boshaft.
    Herr Wierig grinste. »Also, ich mag das. Die mit den kürzeren Beinen sind für gewöhnlich ausdauernder, wenn du verstehst, was ich meine.«
    Ich zuckte zusammen, aber Kernig lachte wieder schallend.
    »Das war gut, Friedhelm, das war gut«, rief er.

    Als die letzte Wetterjacke vorgeführt war, ließ er mich mit Wierig allein, um die Pferdebälle und das dazugehörige Video zu holen.
    Ich goss Wierig noch eine Tasse Kaffee ein.
    »Und wie gefällt Ihnen Ihr Chef?«, fragte Wierig. »Ich meine, so als Mann!«

Ich war ehrlich verwirrt.
    »Als Mann?«, wiederholte ich. Unter diesem Gesichtspunkt hatte ich Kernig noch niemals betrachtet.
    Herr Wierig lachte über mein Mienenspiel.
    »Das war gut, Madel, das war gut«, rief er.
    »Reiten Sie eigentlich selber auch, Herr Wierig?«, fragte ich ablenkend.

Herr Wierig lachte wiehernd.
    »Ja, aber nur zweibeinige Stuten«, rief er. »Nur zweibeinige Stuten.«
    Jetzt war es aber genug!
    »Solche wie dich, Madel«, setzte Herr Wierig hinzu, holte einen Schlüssel aus seiner Jackettinnentasche und ließ ihn vor meiner Nase hin und her baumeln.
    »Ich logiere im >Rex<. Mit Whirlpool.« Er zwinkerte zweideutig.
    »Und das in Ihrem hohen Alter«, sagte ich und pfiff durch die Zähne. »Donnerwetter!«
    Herr Wierig tat, als habe er nichts gehört. Vermutlich litt er schon unter Altersschwerhörigkeit. Seine Hand legte sich auf meinen Hintern.
    »Kannst es dir ja überlegen. Bisher hat sich noch keine beschwert.«
    Ich versuchte, seine Hand von meinem Hintern zu schieben, aber sie saß dort wie festgesaugt. Ich kniff meine Fingernägel, so stark ich konnte, in die weiche Haut.
    Herr Wierig zog seine Hand zurück. Genau in diesem Augenblick kam Kernig

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