Die Launen des Teufels
bewegen zu können, den Knaben aufzunehmen. Doch nachdem die Schwesternschaft immer mehr schrumpfte, schien ihr der Schutz, den diese ihrem Sohn bieten konnte, nicht mehr ausreichend. Zwar hatte sich Baldewin angeboten, das Kind fortzuschaffen und es in die Obhut eines Klosters zu geben, doch fürchtete Katharina, dass Ulrich ihn dazu bewegen könnte, das Versteck preiszugeben.
Schuldbewusst warf sie dem an der frisch in die Außenwand des Infirmariums geschlagenen Tür Wache haltenden Ritter unter gesenkten Lidern einen Blick zu. Nachdem sie den zweiten Mann ihres Vaters zurück nach Heidenheim geschickt hatte, blieb ihr nur noch Baldewin. Sicherlich tat sie ihm unrecht, da er ihr in der Vergangenheit mehr als ein Dutzend Mal seine unumstößliche Treue bewiesen hatte. Doch würde sie alle Qualen, die Ulrich für sie ersonnen hatte, aushalten, wenn sie wusste, dass sie das einzige schwache Glied in der Kette war. Denn ganz egal, wie er sie bestrafen würde, sie würde ihm niemals den Aufenthaltsort ihres Kindes verraten! Auch wenn sie diesen bisher selbst noch nicht kannte.
Der Geruch frischen Lehms stieg ihr in die Nase. Noch immer waren die Arbeiten an dem ehemals in den Hof der Barfüßerabtei führenden Durchgang nicht abgeschlossen, und Stein um Stein wuchs die Barriere, welche die Frauen aus dem Inneren fernhalten sollte. Grimmig presste sie die Lippen aufeinander, als sie an den Auftritt des frischgebackenen Abtes dachte, der vor drei Tagen in das Lazarett gerauscht war, um seine Entscheidung zu verkünden. Da die Anwesenheit von Weibern im Kloster sowohl die Heiligen als auch Gott erzürnte, hatte er steif verlauten lassen, würden die Beginen sich in Zukunft lediglich um Schwangere und Wöchnerinnen kümmern. Was schließlich voll und ganz ihren Qualifikationen entsprach. Der Rest der Kranken würde – abgeschirmt von der Versuchung, welche die Frauen darstellten – vom Infirmarius und dem Tonsor sowie deren Helfern behandelt werden.
Nur mühsam verkniff Katharina sich ein verächtliches Schnauben. Was für ein furchtbarer Mann dieser Henricus war! Als einige der Heiligen Schwestern empört protestiert hatten, hatte Henricus diesen unverblümt damit gedroht, sie als Helferinnen des Teufels anzuprangern, da in ihrer Obhut unzählige Kranke der Pest zum Opfer gefallen waren. Sie hätte am liebsten ausgespuckt, als er an ihrem Krankenlager vorbeistolziert war, um in den Hof zu entschwinden. Als ob diese Seuche etwas mit dem Geschlecht der Behandelnden zu tun hätte! Erneut überkam sie eine Welle der Furcht. Was, wenn ihr Sohn an dieser furchtbaren Plage erkrankte? Ihre Finger gruben sich in den hölzernen Rosenkranz, den sie seit dem Tag ihrer Ankunft nicht mehr abgelegt hatte, während sie um Schutz für ihr Kind betete.
Als sich eine halbe Stunde später das schmächtige Mädchen näherte, das den kleinen Wulf täglich zu seiner Amme brachte, hätte Katharina sie um ein Haar davon abgehalten, den Knaben aus der Krippe zu heben. Wenn ihm nun unterwegs etwas zustieß?
»Warte«, bat sie und schob sich ein wenig höher. »Baldewin!«
Als der Ritter seinen Posten an der Tür verlassen und sich vor ihr verneigt hatte, zeigte sie mit dem Kopf auf Wulf und die junge Frau. »Begleite die beiden. Sieh zu, dass ihnen nichts geschieht.« Damit entließ sie die drei und starrte ihren sich entfernenden Rücken hinterher, bis sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren. Sie kannte nicht einmal den Namen des Mädchens, dachte sie beschämt. Und das, obwohl diese sich vom ersten Tag an um Katharina und ihren Sohn gekümmert hatte. Reumütig beschloss sie, dieses Versäumnis nachzuholen und ihre Helferin für ihre Mühen zu entlohnen.
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Während seine Herrin sich der Nachlässigkeit schalt, stapfte Baldewin gelangweilt vor dem kleinen Laden des Apothekers auf und ab und wartete darauf, dass er die ihm Anvertrauten wieder ausspuckte. Nachdem er einen Blick in das nach ätherischen Ölen riechende Innere geworfen hatte, hatte er sich mit gerümpfter Nase wieder nach draußen zurückgezogen, um sich dort mit der Betrachtung seiner Umgebung die Zeit zu verkürzen. Wie anders als Heidenheim diese Stadt war!, dachte er verwundert, als zum wohl zehnten Mal ein und derselbe Metzgerkarren an ihm vorbeirumpelte, um kurz darauf zurückzukehren. Anders als in dem kleinen Flecken an der Brenz, in dem die Einwohnerzahl überschaubar war, schien Ulm trotz der überall lauernden Gefahren zu brodeln und vor
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